Otto Gross an Frieda Weekley
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a. Meine Geliebte, ich habe es immer hinausgeschoben Dir zu schreiben - es ist in meinem Kopf be- ständig herumgegangen, ohne dass ich zur rechten Klarheit gekommen wäre. Ich habe mir Tag und Nacht Arbeit gemacht, um neue Schlüssel zur Seele zu finden - Frieda, wie sich doch sonderbar im Seeleninneren
die Zukunft mit Ver- gangenem, die Sehn- sucht mit der Schwäche kreuzt - - - Geliebte, ich wiederhole Dir doch am Ende nur die Worte von jener letzten Nacht auf dem Meer [2]. - Mach' keinen Com- promiss in Deinem Inneren, hilf Dir mit keinem falschen Glauben - das hat [?] ich Dich doch als Einziger ...
Bleibst Du um Deiner Kinder [3] willen, so werde ich Dir niemals ein Wort dagegen sagen - sobald Du aber noch andere Motive für Deine Pflicht und Schuld erklärst, dann bist Du wieder im alten Geleise - dem "Irrthum aus Feigheit", Frieda - - wenn wirklich es gelingen kann,
mit E. [4] zu einem guten Resultat zu kommen und ohne Selbsterniedrigung ein ehrliches Glück auf ihm zu bauen - dann wird das mir am allermeisten eine tiefe grosse Freude sein wenn es nur Eines nicht ist = ein Selbstbetrug der eine Selbsterniedrigung verschleiern soll - -
b. Ein Selbstbetrug, um Andere betrügen zu können - um keine ehrliche Lüge verwenden zu müssen, - und dieses Eine fürchte ich = dass Dir zur ehrlichen Lüge die Ehrlichkeit fehlen könnte Du sagst ja ganz wie damals Du habest nicht das Recht die Existenz eines guten Menschen auf's Spiel zu setzen ! Du nimmst Dir aber doch Dein eigenes Recht - und nichts als dieses Recht der Selbstbestimmung -
das unveräusserliche Recht, das niemals durch Vertrag und Pflichtgelöbnis ver- loren werden kann- - wie ist es möglich dies zu übersehen - wenn man's nicht übersehen will?
1) Vermutlich von Otto Gross zunächst nicht abgeschickt, sondern erst später mit einem anderen Brief an Frieda Weekley abgesandt 2) Frieda Weekley und Otto Gross verbrachten (evtl. mehrfach) die Nacht auf der Fähre zwischen Holland und England 3) Frieda Weekley hatte drei Kinder: den 1900 geborenen Charles Montague, die 1902 geborene Elsa Agnes Frieda und die 1904 geborene Barbara Joy 4) Gemeint ist Frieda Weekley's Ehemann Ernest (* 1863, gest. 7. Mai 1954)
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