Otto Gross an Frieda Weekley
V Meine Geliebte, Ich habe Deinen letzten Brief, ich sehe Dich mit einem klar gewordenen Blick und sehe, wie Du schön bist und gross und aufrecht, ich sehe auch die neue Vollendung in die Tiefe und Höhe, zu der sich Deine Seele aus sich selber gebaut hat. Ich danke Dir, dass Du so herrlich bist. Du hast eine Krone auf meine Liebe gesetzt - und vielleicht als Scheide- gruss - es klingt ein Ton von Abschied in Deinen hohen Gesang von neuer Kraft und Sicherheit und Pracht - und neuem Glück - - es ist ein hohes Neues in Dir - gesegnet sei Dir's und leuchte im Licht der kommenden Dinge für Menschen neuerer Art [? Wort unleserlich] nur ein grosses Erleben mit solcher Gabe - Glück oder Schmerz - mir ist mein Schmerz ein grosses, grosses Glück geworden
Und jetzt - ich weiss nicht, ob Dich Deine Wege nun in die Ferne tragen werden und ob Du wieder- kehren wirst zu mir - ob Ab- schied oder Wiederfinden auf höherer Stelle als je - ich weiss es nicht. Du aber weisst, dass meine grosse Liebe unlösbar lebt und wächst und - wartet in mir. Dass sie lebendig dasteht für jede Stunde, in der Du kom- men willst. Du weisst es ja, es kann sich nichts ändern in mir von grossen guten Gefühlen - ich werde Dich lebendig lieben wie einst und mehr als einst und ob Du über Jahr und Jahr noch wieder kommst - und ob ich hoffe oder nicht mehr hoffe - Du weisst, ich bin Dein. Ich bin, solange ich noch ich bin, Dein - zu jeder Stunde, Du weisst es. In einer grossen Liebe, grösser, viel grösser und reicher
als einst - denn ich bin mehr als ehemals. Denn meine Liebe ist frei und schwebend geworden - ich brauche nichts mehr. Ich brauche nur mich selber und meine Kraft als Körper und Geist - mein Ich allein. Ich bin noch fähiger zum Glück, noch dankbarer - ich bin im Glück noch mehr als einst - ich bin aber auch allein noch ich, ich bin im Glück und Unglück ein Wollender und Hoffender, - das ist das Neue in mir. Ich bin jetzt stark im Unglück und im Glück - ich bin jetzt nicht mehr in mir selber dem Unglück zur Zerstörung preis- gegeben. Das Unglück hat über mich die Kraft verloren, zu lähmen und entstellen, was in mir selber ist. Ich bleibe,
was ich bin, und gehe weiter - ob Alles, Alles mir verloren geht. Nur dass mir das Ganze zu Grossem verloren gehe, dass nichts nach unten versinke, was bei mir war - nur dass mir Herrliches nicht anders ver- loren gehe, als um zu steigen wie Du ! Dass mir der Ton von Abschied ein Ton von Grösse und neuem Werden sei - ein Ton wie der, der mir von Dir herüber klingt - - Du bist ein herrliches Weib, ich danke Dir. Und sei nicht traurig über mich - Du weisst, dass Nichts mehr mich lähmen und nichts mehr mich enstellen [vielmehr: entstellen, d. Hrsg.] kann. Dass nichts mehr an meinem Wesen Schaden thut und an dem Willen, der in mir steigen will - - - dass ich nichts mehr verlieren kann von mir - -
Auch meine Liebe zu Dir [1] verändert sich nicht - bewahre das : niemals. Du bist mir immer als wärest Du nie von mir gegangen. Und unverändert - nur gesteigert ist auch die Kraft zum Glück in mir - gesteigert meine Kraft [2] zum Glück und zur Pracht der Liebe mit Dir - wenn Du zu mir kommst. Wann immer Du kommst. Ob jetzt, ob einst noch in der kommenden Zeit - für immer. Immer, wenn mich ein neuer Tag und Traum vor Dein Ver- langen stellt. Immer, Geliebte. - Otto Umdrehen !!
P.S. Du hast mich ja wohl richtig verstanden, auch für's Einzelne. Du weisst, mit welcher Seligkeit Du mich beschenken würdest, wenn Du nach Holland kämest [3] - wenn Du aus eigenem Wunsche kämest. - - - Ich wäre glücklicher als ich mich jemals früher für fähig gehalten hätte - weil ich der grossen Freiwilligkeit noch näher gekommen bin. Du musst aber wissen, dass Du nicht etwa von Sorgen oder Wohlwollen beeinflusst werden brauchst - dass nun kein Unglück mehr von mir selber etwas wegnehmen kann. - Solltest Du kommen wollen, dann schreib' an mich oder Friedl [4] - ich wiederhole, wenn es Dich freut um des reinen Glückes willen! - sonst schreib' mir oder komm, wenn Du irgend einmal daran denkst. Und wenn es anders kommt - "Unsterblichem Veilchen Gruss in Unsterblichkeit." -
1) Die beiden vorstehenden Worte wurden von O. G. nachträglich in den Text eingefügt 2) Die beiden vorstehenden Worte wurden von O. G. nachträglich in den Text eingefügt 3) Gross will am Kongreß für Neuro-Psychiatrie in Amsterdam teilnehmen, der vom 2.-7. September 1907 stattfindet, und dort referieren 4) Gemeint ist Gross' Ehefrau Frieda
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