Otto Gross an Frieda Weekley
1. I Meine Geliebte, ich danke Dir, dass Du existierst - dass ich wissen darf um Dich - ich danke Dir für allen Muth, alle Hoffnung, alle Kraft, die mir von Dir zugekommen ist. Erst jetzt vermag ich allmählich ganz zu be- greifen, welch Neubelebung aller Kräfte mir durch Dich zugegangen ist - durch Dich, die du mir farbig und lebend gezeigt und geschenkt hast, was mir als körperloser Traum, als Zukunftssehnsucht des Strebens und Wollens - als das vorausgeträumte Weib der Zukunft in meiner Phantasie lebendig war. Nun hab ich
die Bestätigung voraus bekommen - lebend gesehen, lebend geliebt, was mir als höchste Möglichkeit der Zukunft gegolten hatte - als Möglichkeit, als Werk meiner Phantasie, an dessen Ungewissheit bisher [1] sich meine lähmendsten Zweifel an aller Menschheitszukunft und meinem eigenen Streben immer von neuem wieder festgesetzt hatten. Jetzt aber haben sie keinen Angriffspunkt mehr - jetzt weiss ich, das Weib, dass ich für kom- mende Geschlechter träume, das hab ich gesehen und geliebt, das Weib meiner Zukunfts-
2. träume ist wirklich möglich, es kann existieren - es ist wie ein Wunder als Gruss der Zukunft zu mir gekommen ... Ich weiss jetzt, wie die Menschen sein werden, die nicht mehr befleckt sein werden von allen Dingen, die ich hasse und bekämpfe - ich weiss es durch Dich, den einzigen Menschen, der heute schon frei geblieben ist von Keuschheitsmoral und Christenthum und Democratie und alledem gehäuften Unrat - freigeblieben durch seine eigene Kraft - - -
Wie hast Du nur dieses Wunder zustande gebracht, Du goldenes Kind - mit Deinem Lachen und Deinem Lieben den Fluch und Schmutz von zwei verdüsterten Jahrtausenden von Deiner Seele fernzuhalten ? Weisst Du denn auch, Geliebte, was Du mir Grosses gegeben hast - weisst Du, welch unvergleichliche Kraft Du mir geschenkt hast in diesen Tagen, als ich mein Zukunftsideal als lebende Wirklichkeit schauen durfte und alles sich [2] noch viel schöner erwies als ich mir je geträumt - weisst Du, wie Du mich stark und froh gemacht - dass Du
3. mich auch das Lachen gelehrt hast - dass mir seit Deinen Tagen die grosse Sicherheit geblieben ist, wie ich sie bisher noch nie gekannt ? Ich danke Dir, Geliebte - - auf Wiedersehen ! Dein Otto
4. (später) Nun ist Else gekommen [3] - in Schönheit .... (hier bin ich überm Schreiben ein- geschlafen. Das weitere ein paar Tage später. -) Jetzt bin ich mit Else - Tiefen der Liebe, Tiefen der Schwermuth - ich habe sie lieben gelernt wie noch niemals vorher - und wie noch niemals ihre Schwere begriffen - sie ist so gross und vornehm und hat Dich so warm und inner- lich lieb - so meilenfern von aller Möglichkeit des Neides - und leidet doch - was ist denn zu leiden
an solch einem sonnigen Glück von zwei Menschen, die man lieb hat ? Ich kann es nicht verstehen - - - Das heißt, ich kann die Else verstehn aus ihrem Leben, aus all dem Traurigen, Sonnen- losen in ihr und um sie herum - sie hat sich immer in ihrem ganzen Leben dem Unterdrückten, Lichtberaubten zugewendet - "Socialaskese" haben wir gesagt ! - sie hat sich lange Jahre im Mitleid ausgelebt - sie muss es wohl erst lernen, sich mitzufreuen. Sie weiss wohl noch fast nichts davon, dass doch das wirklich Beste nur auf den Höhen und in der Sonne gedeiht ...
5. Geliebte, das ist jetzt eine solche Zeit, in der ich den Talisman brauche, den Du mir gegeben hast - in der ich Kraft und Selbstvertrauen wiederfinden muss im Wissen darum, dass sich in Dir, Geliebte, mein Zukunftstraum bereits erfüllt, mein ethisches Ideal als Wirklichkeit bestätigt hat - - - - Du, weisst Du noch aus der Bibel : es durfte doch keiner in's gelobte Land hinein, der noch in Aegypten - als Knecht - gewesen war, erst als Die alle in der Wüste gestorben waren und eine neue Generation geboren war - geboren in der Wüste, auf der Irrfahrt, im Elend aber in der Freiheit - erst diese neue
Generation kam in's gelobte Land - zum Sieg, zur Herrschaft - - - - Das ist ein herrliches Symbol : zur herrschenden Freiheit, zum Adel der schönen und selbstverständlichen Sicherheit - dazu ist keiner berufen, der noch die alten Fesseln getragen hat - auch Moses, auch der Befreier selber nicht - . Nur wer in der Freiheit der Irrfahrt geboren ist - die Suchenden, denen die Freiheit als Opfer, als strenges Gelöbnis vertraut geworden ist - die jede Noth und Gefahr des Suchens, des irrenden Strebens, des täglichen Kampfes - die alles Elend aber nicht die Gewohnheit der Fesseln kennen - erst diese neue Generation wird eine Herrschaft, eine sichere selbst- verständliche Adelsherrschaft der freien Schönheit errichten ....
6. Leb wohl, Geliebte. Hab Dank - - - Ich schreibe Dir bald, sehr bald noch mehr - schicke Dir auch, was ich versprochen habe - - - - - Und Du, Du schreib' mir bald von Dir und Deinem Leben, schreib mir genau, wie sich's bei Dir zuhause getroffen hat und ob es Dir gelingen will, Dein goldenes Glück zu säen - Dein goldenes Glück sich spiegeln zu lassen in Allen, die Dich lieben - und dann : Auf Wiedersehen ! Behalt' mich ein wenig lieb, ich werde Dich immer, immer so dankbar, so freudig lieben - - -
1) Das vorstehende Wort wurde von O. G. nachträglich in den Text eingefügt 2) Das vorstehende Wort wurde von O. G. nachträglich in den Text eingefügt 3) Else Jaffé, die Schwester Frieda Weekley's, unterhielt in der Konradstr. 16 in München, nur wenige Straßen von der Türkenstr. 81/II, in der Gross wohnte, eine Wohnung, vgl. auch: Festner, Katharina u. Christiane Raabe. Spaziergänge durch das München berühmter Frauen. Zürich, Hamburg: Arche 1996, S. 126f.
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