Am 15. September 1935 erließ der Reichstag in Nürnberg während des 7. Reichsparteitags das "Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" (arrowwww.1000dokumente.de/), auch als „Blutschutzgesetz“ bezeichnet, das fortan unter dem Propagandabegriff der „Rassenschande“ als Delikt die Beziehungen zwischen jüdischen und nichtjüdischen Deutschen diskriminierte und unter Strafe stellte. So untersagte das Gesetz die Eheschließung zwischen Jüdinnen und Juden und "Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes" und sah bei Zuwiderhandlungen Zuchthausstrafen vor. Auch der außereheliche Geschlechtsverkehr zwischen Juden und Nichtjuden wurde unter Strafe gestellt. Jüdinnen und Juden wurde es zudem untersagt, „weibliche Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes unter 45 Jahren“ in ihren Haushalten zu beschäftigen.

Zwischen 1935 und 1945 wurden insgesamt rund 15.000 Ermittlungsverfahren wegen „Rassenschande“ - überwiegend nach Denunziationen von Nachbarn - eingeleitet und 2.211 Männer verurteilt. Doch auch Frauen wurden bestraft, etwa mit sogenannter Schutzhaft, Ausbürgerung und Deportation. Erst am 25. August 1998 wurden die Urteile aufgehoben, die aufgrund des „Blutschutzgesetzes“ verhängt wurden.

Hintergrund

Seit der Einführung der Zivilehe im Jahr 1875 war die Anzahl gemischt heiratender Juden in Deutschland beträchtlich gewachsen und von 1901 bis 1932 um das Dreifache angestiegen. Allerdings blieb umstritten, ob die „Mischehe“ als Assimilation (wie von Richard Dehmel, Alfred Ploetz und Heinrich von Treitschke postuliert), oder als „Verunreinigung des nordischen Menschen“ (wie von Eugen Dühring und Werner Sombart befürchtet) anzusehen sei. Als schärfste Propagandisten der „Sünde wider das Blut“ gelten Houston Stewart Chamberlain und Artur Dinter. Dinters 1918 erschienener gleichnamiger Roman erzielte innerhalb von zehn Jahren eine Auflage von mehr als 250.000 Exemplaren. Auch der Einsatz „farbiger“ Soldaten im Zuge der Besetzung des Rheinlandes durch französische Truppen nach dem Ersten Weltkrieg gab der Diskussion über die Bedrohung der Deutschen durch externe Fremde neue Nahrung.

Weit vor der Verkündung des „Blutschutzgesetzes“ kam es in deutschen Städten zu öffentlichen Anprangerungen einzelner jüdischer Männer oder „deutsch-jüdischer“ Paare. In „Prangerumzügen“ oder „Prangerfesten“ wurden kahlgeschorene Delinquenten in prozessionsartigen Demonstrationszügen durch die Stadt geführt, die Juden wurden gezwungen, „Narrenkappen“ mit der Aufschrift „Rassenschänder“ zu tragen. Alexandra Przyrembel konstatiert fünf Bedeutungsebenen dieser Umzüge: Sie verfolgten 1. das Ziel, „deutsch-jüdische“ Beziehungen zu ächten und ein gesetzliches Verbot der Ehen und Liebesverhältnisse durchzusetzen, sie prägten 2. das Bild vom männlichen jüdischen „Rassenschänder“ und der von ihm verführten „deutschblütigen“ Frau, sie trugen 3. als Moment antisemitischer Gewalt zur Dehumanisierung des Einzelnen im öffentlichen Raum bei, sie waren 4. öffentliches Spektakel, mit dem breitere Bevölkerungsschichten in den Stigmatisierungsprozess eingebunden wurden und ermöglichten 5. das Ausleben von Freude an der Gewalt. (Vgl. Przyrembel, Alexandra: Rassenschande. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2003, S. 70-71)

Prangerumzug in Gelsenkirchen am 8. August 1935. Foto: www.stolpersteine-gelsenkirchen.de

Einige der im Rahmen der Forschungen der städtischen AG „Stolpersteine für Magdeburg" ermittelten Schicksale Betroffener werden im Folgenden dargestellt:

David Apter. Foto: PrivatDavid Apter, Vertreter für Weingroßhandlungen, lernt 1912 in Magdeburg die Schneiderin Elisabeth Auguste Graun kennen. Seine Bemühungen, sich von seiner Ehefrau Johanna scheiden zu lassen, scheitern. Als sie 1932 stirbt und Elisabeth Graun 1935 aus der evangelischen Kirche austritt, ist es für eine Eheschließung zwischen beiden zu spät: das „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre („Blutschutzgesetz“), verbietet Eheschließungen zwischen „Deutschblütigen“ und Juden und stellt außereheliche Beziehungen zwischen ihnen als „Rassenschande“ unter Strafe. Am 28. Oktober 1938 wird David Apter eines der Opfer der so genannten „Polenaktion“. Am 27. Juli 1939 erhält er die Erlaubnis zur Rückkehr nach Magdeburg, um seine Geschäfte zu regeln. Allerdings wird er am 9. September 1939 verhaftet und in die Heilanstalt Jerichow, Krs. Genthin, eingeliefert. Dort stirbt er am 29. Februar 1940. arrowwww.magdeburg.de/

Der Kaufmann Markus Augenreich, Vater eines unehelichen Kindes, wird 1935 wegen „Rassenschande“ verfolgt und flieht nach Polen. Wie seine Schwester Rosa, die am 14. April 1942 von Magdeburg aus in das Ghetto Warschau deportiert wird, gilt er als verschollen. arrowwww.magdeburg.de/

Dr. med. Erich Böhm wird am 8. Juli 1938 in Magdeburg inhaftiert. Am 26. August 1938 kommt es zur Eröffnung eines Strafverfahrens gegen ihn vor der großen Strafkammer des Landgerichts IV. Ihm wird vom Staatsanwalt vorgeworfen, mit Lilly Rothe, „einer Staatsangehörigen deutschen Blutes” außerehelich verkehrt und sie in seinem Haushalt beschäftigt zu haben, was nach Inkrafttreten der Rassegesetze als strafbar gilt. Dr. Erich Böhm steht zu seiner Freundin. In den Gerichtsunterlagen heißt es: „... Die Kraft, sich zu lösen, habe er nicht gefunden ...“. Am 4. Oktober 1938 wird er zu zwei Jahren Zuchthaus wegen „Rassenschande“ verurteilt. Er verbüßt die Strafe vom 4. Oktober 1938 bis zum 4. August 1940 (2 Monate Untersuchungshaft werden ihm angerechnet) im Zuchthaus Coswig. Seine Bestallung als Arzt erlischt am 13. Oktober 1938. Er erhält ein Visum nach Shanghai, wo er am 24. November 1943 stirbt. arrowwww.magdeburg.de/

Albert Hirschland, Diplomkaufmann und Handelslehrer, wird am 28. April 1935 verhaftet und Zielscheibe eine der übelsten, deutschlandweit verbreiteten Hetz- und Schmutzkampagnen des berüchtigten Nazi-Blattes „Der Stürmer“ gegen einen Juden. Nach einem zweitägigen Prozess wird Albert Hirschland am 19. Juni 1935 „wegen Sittlichkeitsverbrechen in 5 Fällen zu einer Gesamtzuchthausstrafe von 10 Jahren und zu 10 Jahren Ehrverlust verurteilt. Außerdem wird Sicherheitsverwahrung ausgesprochen“. Die Zuchthausstrafe verbüsst er zunächst im Zuchthaus Brandenburg, aber schon bald verbringt man ihn zur sogenannten „Sicherheitsverwahrung“ in das KZ Auschwitz, wo er am 18. Februar 1943 ermordet wird. arrowwww.magdeburg.de/

Auch Max Katzmann und seine nichtjüdische Partnerin Margarethe Ballerstein sind von den Nürnberger Gesetzen betroffen. Sie emigrieren im Dezember 1935 nach Riga und heiraten dort. Als das Baltikum infolge des Hitler-Stalin-Paktes an die Sowjetunion fällt und die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion überfällt, gelten sie als feindliche Ausländer. Wie viele andere Deutsche werden sie 1941 in ein Arbeitslager nach Sibirien transportiert, ab 1943 sind sie in Karaganda in Kasachstan. Margarethe Katzmann berichtet später, sie sei dort als Sekretärin und Pflegerin eingesetzt worden. Sie kehrt als Witwe 1947 nach Deutschland zurück, Max Katzmann ist in Sibirien oder Kasachstan verstorben. arrowwww.magdeburg.de/

Erich Petzall, nach der Schule und verschiedenen Beschäftigungen und Ausbildungen im kaufmännischen Bereich von 1912 bis 1920 in den USA, ist er ab 1922 einer der Prokuristen des Magdeburger Kaufhauses „Gebrüder Barasch“.  Als Anfang Dezember 1935 die Magdeburger Staatspolizei den Hinweis erhält, dass mehrere leitende männliche Mitarbeiter des Kaufhauses „schwerwiegende moralische Unanständigkeiten“ gegenüber weiblichen Angestellten begangen hätten, gehört er zusammen mit dem Personalchef Julius Fischel, Isidor Gans, Rudolf Friedländer und dem Hotelier August Oehm zu den Verhafteten. Auch der in der Seidenabteilung des Hauses beschäftigte Werner Heymann gerät in Schwierigkeiten. Alle involvierten männlichen Angestellten des Kaufhauses sind Juden, alle benannten vermeintlichen Opfer nichtjüdische Frauen. Erich Petzall wird unter dem Vorwurf der „Rassenschande“ angeklagt, aber - wie Rudolf Friedländer - freigesprochen, 1936 verlässt er Deutschland und emigriert in die USA. Julius Fischl wird zu vier Jahren Gefängnis, Isidor Gans zu einem Jahr und August Oehm zu fünf Monaten Gefängnis verurteilt. Am 12. Dezember 1935 wird die Schließung des Kaufhauses angeordnet und der Eigentümer Hermann Broder von der Polizei darüber informiert, dass er das Geschäft am 14. Dezember wiedereröffnen könne, sofern alle leitenden Angestellten einschließlich der Beschuldigten durch „arisches“ Personal ersetzt werden. Hermann Broder kommt dieser Aufforderung nach. Das Kaufhaus wird von einem Konkursverwalter und NSDAP-Mitglied übernommen, 1936 kauft es der nichtjüdische Kaufmann W. Lemke aus Kolberg. arrowwww.magdeburg.de/

Walter Windmüller. Foto: PrivatGegen Walter Windmüller, Vertretungsreisender für Radiogeräte und ab 1932 in Magdeburg, ermittelt im Juni 1936 die Polizei wegen „Rassenschande“, denn er lebt mit einer nichtjüdischen Arbeiterin zusammen. Ihre Absicht zu heiraten zerschlägt sich nach Inkrafttreten der Nürnberger Rassengesetze. Die beiden trennen sich und die Ermittlungen werden mit einer Verwarnung eingestellt. Im November 1937 wird er wegen ausbleibender Unterhaltszahlungen zu einer sechswöchigen Haftstrafe verurteilt, bald darauf im Rahmen der so genannten „Aktion Arbeitsscheu Reich“ in polizeiliche Vorbeugehaft genommen und in das KZ Sachsenhausen überstellt. 1942 kommt er in das KZ Auschwitz III. Am 21. September 1943 wird er dort - nach schweren Misshandlungen - erschossen. arrowwww.magdeburg.de/

Was ist Rassenschande? Der deutsche Weg. 3. Jg., 1936, Nr. 8, 23. Februar, S. 6