Nachdem die Internationale Konferenz von Évian im Juli 1938, die die Aufnahme von Flüchtlingen regeln sollte, ergebnislos endete, verblieb Shanghai für viele der einzige Ort weltweit, der ohne Quotierung noch Flüchtlinge aufnahm.

Die Stadt war zwar seit 1937 japanisches Besatzungsgebiet, doch es gab Stadtgebiete, die der japanischen Herrschaft nicht unterstanden. Da die chinesische Nationalregierung weiterregierte und bis 1941 auch von Deutschland diplomatisch anerkannt war, stellten ihre Konsulate weiterhin Visa für ganz China aus, so auch für Shanghai.

Mehr als 20.000 deutschen und österreichischen Juden gelang es so nach den Novemberpogromen 1938, sich für die Ausreise chinesische Visa zu beschaffen - was vielfach auch die einzige Möglichkeit war, aus dem Konzentrationslager entlassen zu werden - und nach China zu entkommen.

In Shanghai ergaben sich Möglichkeiten, sich Arbeit zu suchen und unter äußerst kärglichen Bedingungen das Dasein zu fristen. Allerdings drängte die NS-Regierung Japan, die Juden in Shanghai in Lagern zu konzentrieren und auszuliefern. So wurde am 18. Februar 1943 eine so genannte „Designated Area“ im Stadtteil Hongkou geschaffen, in die sämtliche jüdischen Flüchtlinge umzusiedeln hatten, die nach 1937 nach Shanghai gekommen waren.

Zum Kriegsende mussten die Flüchtlinge bis September 1945 auf ihre Befreiung warten, während sich ihre Lebensbedingungen aufgrund anhaltend unzureichender Lebensmittelversorgung und grassierender Epidemien dramatisch verschlechterten.

Im Rahmen seiner langjährigen Arbeit als Vorsitzender der Merseburger Geschichtswerkstatt hatte Peter Wetzel, aktuell Mitglied der städtischen Arbeitsgruppe „Stolpersteine für Magdeburg“, Kontakt zu chinesischen Studierenden an der Fachhochschule Merseburg. Die Flucht jüdischer Menschen angesichts massiver Verfolgung unter dem NS-Regime aus Merseburg nach Shanghai war ein berührendes Thema des gemeinsamen Gedankenaustausches. Nach der Rückkehr in die Heimat lösten die Studierenden das Versprechen ein, die heute in Shanghai noch sichtbaren Spuren des Aufenthalts jüdischer Flüchtlinge und deren zeitweiliger Ghettoisierung fotografisch zu dokumentieren.

Das Shanghaier Ghetto heute. Foto: kaku

Blick in eine Straße im Ghetto von Hongkou. Foto: kakuInnenraum in einem Gebäude des Shanghaier Ghettos heute. Foto: kakuDenkmal im Huoshan-Park zur Erinnerung an die jüdischen Flüchtlinge. Foto: kaku

Die vorliegende Fotodokumentation ist uns Anlass, an die jüdischen Mitbürger Magdeburgs zu erinnern, die - soweit bekannt - nach Shanghai flüchteten.

Schicksale

Fritz Bernhardt entstammt einer Magdeburger Kaufmannsfamilie, sein Vater Georg war Inhaber einer Großhandlung für Seidenband-, Weiß-, Putz- und Wollwaren. 1941 wird die Familie zwangsweise in der Judenhaus Westendstr. 9 eingewiesen, Georg Bernhardt nach Theresienstadt deportiert, wo der 80-Jährige schon 10 Tage nach seiner Ankunft am 28. November 1942 stirbt. Fritz Bernhardt, im 1. Weltkrieg Soldat und dem „Reichsbund jüdischer Frontkämpfer“ angehörend, ist Kaufmann in der väterlichen Großhandlung. Ihm gelingt die Flucht nach Shanghai, wo er an Flecktyphus erkrankt und an den Folgen der Krankheit am 4. April 1942 verstirbt. arrow www.magdeburg.de/

Dr. med. Erich Böhm, Militärarzt im 1. Weltkrieg, lebt seit 1921 als Praktischer Arzt in Magdeburg - zusammen mit seinen unverheirateten Schwestern Margarete und Elly. Die Beziehung Böhms zu der Hauswirtschafterin Lilly Rothe führt am 8. Juni 1938 zu seiner Inhaftierung und zur Eröffnung eines Strafverfahrens wegen Rassenschande. Böhm wird zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt, die er im Zuchthaus Coswig absitzt, seine Approbation als Arzt erlischt am 13. Oktober 1938. Am 4. August 1940 entlassen, kann Böhm nach Shanghais ausreisen, wo er am 24. November 1943 stirbt. Margarethe und Elly Böhm werden am 13./14. April 1942 in das Ghetto Warschau und von dort in das Vernichtungslager Treblinka deportiert. arrow www.magdeburg.de/

Edith Clara Crohn, geb. Haas, und der Bankkaufmann Paul Crohn wohnen in Magdeburg östlich der Elbe, Oststraße 6. Paul Crohn ist in der Firma seines Schwiegervaters, einem Eisen-, Metall- und Maschinenhandel, tätig. Die Eheleute haben zwei Söhne, Ernst Erich und Moritz, und engagieren sich für die zionistische Idee und die Sozialdemokratie. Während der Sohn Ernst Erich 1936 nach Palästina flüchten kann, wird Paul Crohn am 10. November 1938 in Berlin verhaftet und in das KZ Sachsenhausen verschleppt. Nach seiner Freilassung gelingt es den Eltern, den Sohn Moritz bei einem Kindertransport nach England unter zu bringen, sie selbst können mit dem Schiff „Marburg“ nach Shanghai entkommen. Dort stirbt Edith Clara Crohn am 24. Dezember 1941 an Unterernährung und fehlender medizinischer Versorgung, Paul Crohn, der nach dem 18. Februar 1943 auf Befehl der japanischen Besatzungsmacht in das Ghetto von Shanghai umziehen muss, am 8. Januar 1945. arrow www.magdeburg.de/

Meta Friedmann eröffnet 1911 in Magdeburg mit einer Freundin die Firma „Friedmann & Koch, Kurz-, Putz- und Weißwaren“. 1919 heiratet sie Markus Pels, Großhändler für Leder und Lederabfälle, später Generalvertreter für Schuhwaren, zwei Kinder, Manfred und Estella, kommen zur Welt. Am 10. November 1938 wird Markus Pels verhaftet und in das KZ Buchenwald deportiert. Er kann freikommen und der Ehefrau, deren Eltern und Schwestern sowie der Tochter nach Italien folgen, von wo sie nach Shanghai gelangen. Meta Pels stirbt dort am 5. November 1942, im Mai 1943 müssen die verbleibenden Familienangehörigen in das Ghetto umziehen. 1947 gelingt ihnen die Ausreise in die USA, wo der Sohn inzwischen lebt. arrow www.magdeburg.de/

Dem Kaufmann Alexander Safian und seiner Ehefrau Margarethe, geb. Schild, gelingt 1939 die Ausreise von Magdeburg und die Flucht nach Shanghai, wo Margarethe Safian am Vorabend ihres 56. Geburtstages am 14. Juni 1942 stirbt, Alexander Safian am 11. Januar 1947 mit 72 Jahren. arrow www.magdeburg.de/

Die einzelnen, hier kurzgefasst dargestellten Schicksale sind in den zu den Betroffenen vorliegenden Gedenkblättern der AG „Stolpersteine für Magdeburg“ ausführlich dokumentiert: arrow www.magdeburg.de/Stolpersteine/