Otto Gross an Frieda Weekley
1. Meine Geliebte, ich habe Dir viel zu sagen, das Alles sich an Deine Liebe wendet - es ist aber schon recht lange her seit Deinem letzten Brief - und eine Woche kann dazu ge- nügen, um einen Men- schen zu vergessen - - - Ich habe selbst ein Ausnahmsgedächtnis
mir bist Du gegen- wärtig als seist Du gerade aus dem Zim- mer gegangen und solltest in wenigen Stunden wiederkommen. So ist's aber wohl bei Niemandem sonst. Und dann : Du weisst, ich habe gar so böse Ahnungen gehabt. Nun richtig ist's mit mir und Else [1] zu Ende gegangen. -
Ich habe ein Gefühl als sei das Schicksal noch nicht erfüllt - als sei das erst der Anfang. Ich habe all- zuviel vom aller- wunderbarsten Glück gehabt - zu hohes Glück für mensch- liches Maass - zu viel an Schaffenskraft und hohen Plänen in mir gefühlt - - es giebt einen Satz
von Heraklit, der grauenhaft wahr ist : "die Sonne darf nicht über das Maass ihrer Bahn hinaus - sonst würden die Rache- geister sie erreichen". [2] - Mich kriegen sie wohl jetzt, das fühle ich. Sie haben mir nun schon Else weggenommen und diesen Schlag mit einer satanischen Ironie der Mittel und mit ver- gifteter Waffe geführt.
2. Ich würde frei von diesem Gift bei Dir - ich käme wieder obenauf und würde wieder lachen lernen aus dankbarem Herzen heraus und wieder zur Sonne beten - - - ich fühle, jetzt nehmen sie mir Dich - erst damit werfen sie mich aus der Bahn, die "über das Maass" war - - -
Dann, wenn ich Dich verliere, dann ist es anders - dann ist mir auch Frieda [3] verloren. Verstehst Du mich recht : Zu Frieda kommen [4] kann man nur als starker und stolzer Mensch, man muss es so mitbringen - bei Dir aber wird man so, wie immer man früher gewesen sein mag ; bei Dir ist nur die jetzige Minute und die Zukunft wahr, was aber früher gewesen
ist, das bleibt zurück, denn Du erlöst von aller Vergangenheit. Ich käme nicht zu Dir, um etwa Trost zu holen - ich käme, um bei Deinem Anblick glücklich zu sein. Ich habe aber diese fürchterliche Ahnung, das eben [5] will mein Schicksal nicht. Du hast das goldene Leuchten, das alle bösen Geister bannt - Du hast die weisse Reinheit, die alle Mächte
der Güte und Freude Dir zu eigen giebt - die segnet und froh und stolz macht, was Du liebst. Mir ist, als hätte mich schon dieser erste Schlag nicht treffen können, wenn Du mich noch in diesen letzten Tagen geliebt hättest - als müsstest Du mich vergessen haben - gerade vor einigen Tagen - und damit wäre ich erst den bösen Kräften aus- gesetzt geworden. -
3 Es ist mir so ein drohen- des Gefühl, dass ich mit aller Mühe nicht über- winden kann : wer Deine Liebe, Deine vor allem was nicht rein und hell ist beschützende Liebe für sich hat, den hätte vielleicht ein Schlag des Schicksals getroffen, nie aber wären hässliche und höhnische vergiftende Vampyre in seine Nähe gekommen. Gerade das ist mir ich glaube das Allerquälendste -
4. dass mich das treffen konnte, das scheint mir immer wieder zu beweisen, dass Du mich aufgegeben hast. Das wäre erst das richtige Besiegtsein - bisher ist noch ein Rest von früherem Zustand, von einer Art Kraftgefühl da : Ich hatte doch noch etwas zu gestalten und habe doch, wenigstens zu stande bringen können, dass etwas Klares und Ganzes geworden ist.
5. Ich muss erst sagen, wie's gekommen ist - dies "wie" ist gar so - - - Ein alter Freund taucht wieder auf [6], der das ver- körperte democratische Princip [7] und mir von jeher unendlich widerwärtig ist - und dem in irgend einer Weise nahe zu kommen ein Frevel am natürlichsten und höchsten Gesetz ist, an dem Gesetz der Trennung von Adel und Volk - - - - der war ihr wieder lieb und theuer geworden, lieber als je - - -
es war entsetzlich - sie hatte in unglaublicher Ver- blendung zugleich von dem Zusammensein mit mir sich Gutes er- wartet - im letzten Brief noch gar so lieb von diesem geplanten Zusammensein geschrieben - beinahe [8] zugleich mit diesem Brief erfahre ich wer ihr Freund ist - ich hatte mich natürlich ganz riesig gefreut darüber, dass sie einen Freund hat - und wie ich höre, wer es ist - - - - ich kann natürlich nicht mit ihr zusammenbleiben, so lange der ihr irgendwie nahe steht - -
6. ich muss ihr sagen, dass man nicht Herrn und Knecht auf eine Linie stellen kann - - dass sie nicht den und mich zugleich bejahen kann - dass diesem Menschen gegenüber "er oder ich" gilt - ich suche dabei vergeblich, sie wieder zurückzuführen in ihren früheren anderen Seelenzustand, wo sie die meine gewesen war und auf ihrer höchsten Höhe stand - wo dieser Mensch ihr ganz unmöglich
gewesen wäre - dass dies die eigentliche und beste Seele in ihr war - vergeblich - es bleibt bei der Wahl - sie ist aber wieder ganz in ihrer Democratie, hält die für ihrer Natur entspre- chend - wieder Social- askese - alles in allem, ich hätte müssen von meinem Gesetz und Weg in's Thal hinunter und in die democratische Niederung hinab, um noch mit ihr zu bleiben - so blieb sie zurück - - -
Das ist so furcht- bar arg für mich, dass dies der Grund war - dass es der Trennungsgrund werden konnte, dass ich das ewigste aller Gesetze, das Vorrecht und die Distanzpflicht des Adels nicht aufgeben kann - dass man deshalb ver- zichten muss - - - der Eindruck, dass
man vor die Wahl gestellt werden konnte zwischen dem höchsten Gebot des "noblesse oblige" [9] - und einer Frau, die eben dies Gebot in jeder Bewegung zu verkörpern schien ! - Das war das Letzte, was ich thuen konnte, die Unvereinbarkeit ihrer neuen Richtung mit unserer Liebe ihr klar zu machen und Gottseidank das Wiedersehen zu verhindern - und ihr und mir den letzten Rest von allem Glück zu retten, die Reinheit der Erinnerung - - -
7. Es geht so unschön zu Ende - so unklar, so "nicht wissen was man will" - - - zuerst erzählte sie von einer Freundschaft, die sich im Sinne meiner Principien entwickeln solle - und dass sie jetzt ganz begreife, ich hätte recht damit - - - - Das war für mich natürlich eine wunder- bare Freude - ich glaubte natürlich, jetzt sei die Befreiung ihrer Seele vollendet,
jetzt sei von nun an Alles bis in's Letzte rein und schön und alle Askese und Eifersucht und Alles Verneinen verschwinde vor der Reinheit des guten Gewissens in der Freude, des Wissens um den Reichthum bejahenden Lebens - ich hab' ihr weisse Lilien geschickt und war ihr so dankbar, dass sie nun ganz zu
uns herüber [10] gekommen sei und frei zur Freude - und ihre Briefe waren voll Erwartung auf unser Wiedersehen - und dann stieg eine Ahnung in mir auf - es war mir, als sei etwas Neues und Störendes da - als sei sie doch nicht mehr die frühere - und ein- mal kam mir in der Nacht der eisige Gedanke, dass die von ihr erwählte Persönlichkeit das Trennende sei - -
und jetzt erfuhr ich die Thatsache dieser Mesalliance - - - - und dass ihr Freund gerade dieser Mensch ist, der mir durch seine blosse Gegenwart im Zimmer schon lästig und aufdringlich schien ! Und alles, alles, was ein- mal in ihr gekeimt und frei und vornehm und lieb und nah gewesen war - alles zertreten - und alles Höchste, Grosse und Weite, dass uns einmal vereint - Alles verzerrt und verhöhnt - - -
8. und was mir auf der Erde das Fremdeste und Feindlichste und Widrigste ist - die Rebellion gegen Adel und Rang und Di- stanz - als die vertraute Umgebung der ehedem so vor- nehm stolzen Seele die mir Geliebte und Schwester geheissen hatte - - - - -
und in der Tiefe des Unbewussten, tief unter der Liebe - Hass ! Es ist nicht gut mehr geworden seit jener fürchterlichen Reaction auf unsere Liebe : die Eifersucht war eben nur in's Unbewusste verdrängt und hat von hier aus diese Rache geübt - - das ist die einzig mögliche Er- klärung, die auch mit allen Details zusammen- stimmt ! - - - - -
9. Es ist mir auch noch lieber als wenn es einfach nur Bejahung dieses Menschen um seiner selbst willen wäre ! - aber es ist auch das so furcht- bar zu denken, dass diese trostlose Ver- wüstung Rache ist für unsere Liebe - für dieses aller reinste
sonnigste und lebens- bejahende Glück - für dieses Fest der Freude, aus dem doch nichts als gute, liebe, herzliche Gefühle für alle Menschen, deren wir gedacht haben, ent- standen sind - für diese Tage voll Reinheit und Unschuld - in denen doch gerade Else's selber mit so viel warmer Liebe gedacht worden ist - dafür als Rache diese verödende, trostlose, lähmende That - - - -
9. [11] Bisher ist dieser Brief in einer tiefen Depression geschrieben - ich kann nicht noch einmal schreiben und schicke ihn ab - schliesse darum aber nicht auf böse Schwächen ! Vor Allem : nicht wahr, Du hältst das nicht als eine Bitte um Liebe ? Nicht wahr, Du kommst doch immer nur zu mir wenn auch Du mich willst ? Und wenn ich Dich bitte, komm, ich brauche Dich - Dann meine ich,
wenn Du mich noch so lieb hast - und hättest Du keinen Wunsch mehr nach mir, dann wärst Du doch ehrlich und kämst nicht ? Ich kann also Bitten stellen : ich bin doch sicher, wenn Du kommst, so hast Du selbst den Wunsch, mit mir zu sein? Du sollst auch nichts aus Sorge thuen - ich hab' bisher noch nicht einmal die Abstinenz- cur unterbrochen,
ich bin also nicht so leicht ausgepumpt ! Dafür aber : glaub' um Gotteswillen nicht, Du kriegst ein trauriges Wrack zum Flicken ! Denk', wie wir damals beisammen waren, da gab's doch fast dasselbe - erst wie Du weg warst, hat' mich's gepackt - die Zeit für uns, die ist doch schön gewesen ? So wär ich wieder, wenn Du kämst und hättest mich noch lieb wie einst - nein, besser, weil die Nar-
cotica weg sind ! Wenn Du mich liebst, dann werd' ich Dir nicht schwer fallen, Du Geliebte ! Dann ist es ja mein stärkstes und lautestes Gefühl, dass ich gerettet bin ! Wenn Du, Du Zukunftsweib, mit mir auf meinen Wegen gehst und mir Dein Lachen kündet, wie Deine überreiche Kraft und Freudig- keit hoch in der Sonnennähe überquillt !
11. Dass, wer die Zukunft wirklich in sich selber als Unverlierbares trägt, kein Heimweh nach den Menschen und ihren Nie- derungen fühlt ! - Ich weiss, Du gehst auch auf den Höhen weiter, wenn Du auch nicht mit mir gehst - wenn Du Dich von mir trennst, so wird es nicht die Rückkehr nach den Thälern sein ; ich weiss, es wäre kein Moment der Schwäche in unserem Scheiden - - - -
10. [12] nur - ob Du bessere Gefährten findest ? Wenn Du mich aber lieb hast und kämst jetzt in der Pracht Deiner Liebe zu mir - Du machtest mich gesund von einer vergifteten Wunde - - - nicht dass ich Else nicht mehr mir zur Seite habe - dass ich sie auf dem Weg zum Thal und Volk weiss - - - dass ich sie deshalb lassen musste ! Dass sie solange neben mir gehen konnte und doch dem Heimweh nach dem Volk erliegen -
12. [13] Nun hör, Geliebte : ich bin jetzt ziemlich frei in meiner Zeit, frei für Dich ! Und ich kann jetzt auch nach England kommen - ich meine, an einen Ort in England, wo wir allein mit- einander und wirk- lich ganz für einander leben könnten !
Eigentlich möcht' ich am liebsten nur Dich treffen - ich ersetz' Dir dann alle Gesellschaft - wenn ich Dir eben noch der bin wie einst. Und ich komm nicht um mich trösten zu lassen, sondern um glücklich zu sein mit Dir. Du thust ja Wunder im
Schenken von Glück - durch dieses Schreiben, durch die Gedanken an Dich bin ich für diesen Augen- blick schon wieder ich selbst. Ich liebe Dich, Du Sonnige, und ich verzehre mich in Sehnsucht - jetzt, seit ich denke, Du rufst mich
vielleicht - rufst mich vielleicht sogar bald ! Du Liebe, Du Geliebte ! Otto
1) Gemeint ist Frieda Weekley's Schwester Else Jaffé, geb. von Richthofen 2) Möglicherweise hat Gross Heraklit im Original gelesen und frei übersetzt. Allerdings ist über eventuelle Altgriechisch-Kenntnisse von Gross nichts bekannt. Hermann Diels übersetzt die von Gross zitierte Stelle wie folgt: "Denn die Sonne wird ihre Maasse nicht überschreiten, ansonsten werden sie die Erinyen, der Dike Schergen, ausfindig machen." (Hermann Diels: Die Fragmente der Vorsokratiker. Griechisch und deutsch. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung 1903, Fragment-Nummer 94). - Für die Verifizierung der Textstelle danke ich Rolf Löchel. 3) Gemeint ist Gross' Ehefrau Frieda, geb. Schloffer 4) Das vorstehende Wort wurde von O. G. nachträglich in den Text eingefügt 5) Das vorstehende Wort wurde von O. G. nachträglich in den Text eingefügt 6) Else Jaffé gab später an, bei diesem Freund habe es sich um den Chirurgen Friedrich Voelcker (1872-1955) gehandelt. 7) Gross' folgende Ausführungen zu "Democratie", Aristokratie, Adel(sherrschaft) erscheinen ausgesprochen elitär und wurden verschiedentlich sehr eigenwillig interpretiert. So deutlich wie in den Briefen an Frieda sind sie sonst selten in seinem Werk aufzufinden.
In seiner Schrift "Zum Problem: Parlamentarismus" (1919) sagt er:
"In Wahrheit ist das Verhalten zur parlamentarischen Frage zugleich die Entscheidung im größten Prinzipienproblem der Politik überhaupt, d.h. im Problem der Demokratie. Der Parlamentarismus ist die einzige reale Verkörperung des demokratischen Grundgedankens, die Herrschaft der reinen größeren Zahl. Daß sich in jeder existierenden parlamentarisch-demokratischen Staatseinrichtung tatsächlich stets die Einflußherrschaft einer Minderheit entwickelt, ist nicht der prinzipielle revolutionäre Einwand; der revolutionäre Geist wirft sich vielmehr aus einer inneren Notwendigkeit und instinktiv auch einer ideengemäß vollendeten, von jeder Einflußherrschaft freigedachten Realisierung des parlamentarischen Gedankens entgegen. Dahinter ist der aufgetane Gegensatz und ruhelose Kampf der revolutionären Psyche mit der demokratischen. Die Stellungnahme jedes Individuums in diesem Kampf ist jedem einzelnen in diesem oder jenem Sinn vorherbestimmt als eine typische, im Grunde seines Wesens festgelegte Orientierung zum dominierenden Grundprinzip der Demokratie überhaupt: dem Majoritätsprinzip. Das reine Prinzip der zahlenmäßigen Majorität - und nur die prinzipiell gewollten Ziele, nicht Unzulänglichkeitseffekte im politischen Getriebe determinieren die Entscheidungen nach psychologischen Kategorien! - legt die Verpflichtung auf, den Eintritt von Veränderungen jeder Art, die unaufschiebbar drängenden Reformen und ebenso die überzeitlich auf die Zukunft eingestellten, den Wenigsten der jeweils Gegenwärtigen begreifbaren Umwälzungen, das Kleine und Banale und ebenso das Tiefste, dem Begreifen einzelner im Dienste aller sich Erschließende, den Zeitpunkt jeglichen Geschehens überhaupt nach dem Verständnistempo der Gesamtheit festzulegen und auf den angenommenen Termin zu warten, an welchem endlich wenigstens die Majorität der Menschen, das gläubig festgehaltene Prinzip des Fortschritts als real erweisend, die "Reife" des Erfassens für die geforderte Veränderung gewonnen haben wird. Die Demokratie ist also wesenseins mit dem politischen Programm des katastrophenlosen Fortschrittes in Voraussetzung einer beständig progenienten geistigen Entwicklung als einer manifesten Realität und dem Vertrauen auf die große Zahl als Verantwortung tragend für jedes große Geschehen."
8) Das vorstehende Wort wurde von O. G. nachträglich in den Text eingefügt 9) Das vorstehende Wort wurde von O. G. nachträglich in den Text eingefügt 10) noblesse oblige = frz.: Adel verpflichtet 11) von O.G. geändert, vorher 10 12) eigentlich 12 13) eigentlich 13
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