Stolpersteine im Magdeburg am 8. August 2024, Ruchla Sieradzki (oben links), Senta Sieradzki (unten links) und Rudolf and Gerta Rosenberg (rechts)

Am 8. August, 15:00 Uhr werden in Magdeburgs Altstadt, am Synagogenmahnmal, Stolpersteine für den jüdischen Religionslehrer Rudolf Rosenberg, seine Frau Gerta und ihre Kinder Hans Meinhard (John) und Horst Michael (Harry) verlegt.

Rudolf Rosenberg, geboren am 8. Mai 1901 in Leer/Ostfriesland, war von 1930 bis 1938 Religionslehrer in Magdeburg. Mit seiner Familie wohnt er ab 1933 im jüdischen Gemeindehaus in der Großen Schulstraße 2c, neben der Synagoge. Er wird am 10. November 1938, wie viele jüdische Männer, verhaftet und am nächsten Tag in das KZ Buchenwald verschleppt. Anfang 1939 flieht die ganze Familie in die Niederlande und von dort kurz vor dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in die USA. Viele Angehörige der Familie, so die Mutter und drei Geschwister von Rudolf Rosenberg, werden von den Nazis ermordet. Rudolf Rosenberg stirbt 1988, seine Frau Gerta Rosenberg, geborene Schubach, 1911 in Idar-Oberstein geboren, 2011. Die in Magdeburg geborenen Söhne Hans Meinhard (John) (* 1931) und Horst Michael (Harry) (* 1936) studieren und werden Rechtsanwalt und Demograph. Die 1946 in den USA 1946 geborene Tochter Theresa Joan studiert gleichfalls, wird Architektin und Juristin.

Zur Stolperstein-Verlegung werden sieben Angehörige aus den USA anreisen, darunter John (93) und Harry Rosenberg (88). 

Einladung

zum Gespräch mit Dr. John M. Rosenberg und Famiienangehörigen

am Donnerstag, dem 8. August um 17:00 Uhr

Neue Synagoge Magdeburg, Kiddusch-Saal

Anmeldung erforderlich!
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein. oder Tel. 0391/5617170


Zuvor werden um 14:15 Uhr in Magdeburg-Brückfeld, nahe dem Heumarkt, Stolpersteine für Ruchla Sieradzki und ihre Tochter Senta verlegt. Sie ist nach Ewa Lewniowski eine weitere Magdeburger Marktfrau, der mit einem Stolperstein gedacht werden soll.

Sie wird als Ruchla Korpel am 16. Januar 1896 in Stryków, einer 15 km nordöstlich von Łódź gelegenen Kleinstadt geboren, die von der Textilindustrie geprägt wird und sich aufgrund der Nähe zu Łódź nicht recht entwickeln kann. Seit 1815 gehört das Gebiet zum unter russischer Kontrolle stehenden Kongresspolen. Ihre Eltern sind Hagar und Josef (Yossef) Korpel. Der Vater ist Lehrer am Ort, Ruchla ist das zweitälteste Kind, neben ihr gibt es die Geschwister Jorinusen (geb. 1893), Bina (geb. 1898), Gabrjel (geb. 1900), Fiszel (geb. 1902) und Pesa (1905).

Wann sie ihre Heimat verlässt, ist nicht bekannt, auch nicht, wann die Eheschließung mit dem Kaufmann Moritz Sieradzki erfolgt. 1920 wird das Paar erstmals in Magdeburg in der Cracauer Str. 9 wohnhaft erwähnt – aus traurigem Anlass, denn die am 24. Februar geborene Tochter Hilda verstirbt wenige Tage nach der Geburt in der Landes-Frauenklinik.

Warum die Ansiedlung in Magdeburg erfolgt, kann damit zusammenhängen, dass Moritz Sieradzkis Bruder, der Schneider Karl Sieradzki, mit seiner Familie schon längere Zeit am Ort wohnt, in der Albrechtstr. 8.

Das Ehepaar erwirbt 1924 einen halben Anteil an Haus und Grundstück Cracauer Str. 9 und bewohnt dort drei Zimmer mit Küche, kann bald Hausbesitz in der Roten Krebsstr. 17 (mit 14 Wohnungen) erwerben, Ruchla Sieradzki beginnt, sich als Markthändlerin mit Textilwaren zu etablieren. Am 23. März 1924 kommt in Magdeburg die Tochter Senta zur Welt. Ob sie jemals ihren leiblichen Vater kennen lernt, ist ungewiss, denn Moritz Sieradzki entschließt sich im gleichen Jahr, Deutschland zu verlassen und in die USA auszuwandern – womöglich folgt er dem Bruder Laurentius/Lawrence, der seit 1892 mit seiner Familie in Michigan lebt.

Ruchla Sieradzki ist nun allein für die Sicherung des Lebensunterhalts der Zurückbleibenden verantwortlich. Zweimal in der Woche ist sie mit ihrem Marktstand auf dem Alten Markt präsent, außerdem auf größeren Märkten und Messen, so in Braunschweig, Goslar, Hannover und Leipzig. Natürlich wird sich mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten ihr Leben nachhaltig verändern, zunächst für die Tochter Senta, die 1935 wegen ihrer jüdischen Herkunft nicht länger die Editha-Schule besuchen darf. 1937 muss Ruchla Sieradzki ihren Markthandel aufgeben und ist gewungen, ihren Hausbesitz zu veräußern, um das Auskommen zu sichern. Im gleichen Jahr wird Moritz Sieradzki vom Amtsgericht Magdeburg für tot erklärt und Ruchla Sieradzki nimmt ihren Mädchennamen Korpel wieder an.

Doch nichts wird mehr gut: Vom 17. Juni bis zum 18. August 1939 wird Ruchla Korpel, die nun als staatenlos gilt, erstmalig im Polizeigefängnis Magdeburg inhaftiert. Nach der Freilassung entschliesst sie sich schwersten Herzens die Tochter einem Kindertransport nach England anzuvertrauen, mit dem diese noch im August das Land verlassen kann. Schon erfolgt für Ruchla die nächste Haft: vom 10. bis 15. September 1939 hält man sie im Polizeigefängnis fest, ab Mitte Oktober 1940 im Gerichtsgefängnis Magdeburg, ehe sie am 11. Juli 1942 ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet wird.

Senta Sieradzki überlebt die Zeit des Nationalsozialismus. Sie bleibt nicht in England. Am 8. Mai 1945 reist sie nach São Paulo (Brasilien) aus, wo sie heiratet und mit ihrem Ehemann Isaac Sendacz vier Kinder, Gerson, Nelson, Moshé und Beverly, hat. Sie stirbt am 26. Mai 2021.

Magdeburger Stolpersteine 2.0: Recherchiert, gespendet, verlegt -
und in Patenschaft genommen

Seit 2007 werden in Magdeburg Stolpersteine für Opfer des NS-Systems verlegt. Ein Stadtratsbeschluss ebnete 2006 den Weg für eine Entwicklung, die Ende 2024 zu fast 800 verlegten Stolpersteinen führen wird.

Die Gedenkblätter, die für jede Verlegung erstellt werden, sind im Magdeburger Gedenkbuch zusammen geführt, das im Eike-von-Repgow-Saal des Rathauses ausliegt. Außerdem sind sie über die Website der Landeshauptstadt unter arrow www.magdeburg.de zugänglich.

Die Kosten für die Stolpersteine werden durch Spenden erwirtschaftet. Wer sich daran beteiligen möchte, ist herzlich eingeladen!

Spendenkonto „Stolpersteine“, Landeshauptstadt Magdeburg, Sparkasse Magdeburg, IBAN DE02 8105 3272 0014 0001 01, BIC NOLADE21MDG, Verwendungszweck „37994311/Stolpersteine“ (Bitte Adresse für Benachrichtigungen und Spendenbescheinigung mitteilen!)

Die Bevölkerung der Stadt und Nachfahren der Opfer ebenso wie ehemalige Magdeburgerinnen und Magdeburger sind von Anbeginn aufmerksame und überaus interessierte Partner der städtischen Arbeitsgruppe „Stolpersteine für Magdeburg“, die die Fäden des Prozesses in ihren Händen hält, unterstützt vom Kulturbüro der Stadt und dem Tiefbauamt.

Was geschieht nach den Verlegungen?

2022 wurde das Netzwerk der Dauerpaten für die Magdeburger Stolpersteine ins Leben gerufen. Für die überwiegende Zahl der mittlerweile 253 Verlegestellen im Stadtbereich haben sich Paten - Akteure aus der breiten Zivilgesellschaft wie Projekte an Schulen, Kirchengemeinden, Gewerkschaften, Institutionen sowie Einzelpersonen und Familien - gefunden, die die Verlegestellen regelmäßig aufsuchen, die Stolpersteine putzen und den Besuch als Anlass zum Gedenken betrachten. Alle Paten sind innerhalb des Netzwerks aktiv eingebunden und erhalten halbjährlich einen Newsletter, der über aktuelle Entwicklungen, Termine und thematische Verknüpfungen zu Veranstaltungen (z.B. koordinierte Putztermine, Besuche von Gästen, Lesungen u.a.) informiert. Bei Interesse erhalten die Paten ein Zertifikat der AG für eine Dokumentation ihres Engagements in ihren jeweiligen Einrichtungen.

Peter Wetzel, der für die AG „Stolpersteine für Magdeburg“ das Netzwerk betreut: „Die 238 vergebenen Verlegestellen liegen in den Händen von 97 verschiedenen Patinnen und Paten aus unserer Stadt. Das betrachten wir als ein starkes Signal zivilgesellschaftlicher Unterstützung des Stolperstein-Konzepts von Gunter Demnig und der Tätigkeit unserer AG Stolpersteine für Magdeburg.“ Interessentinnen und Interessenten an einer Patenschaft sind herzlich willkommen: Peter Wetzel, Mobil: 0162/7862971, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.