(Geringfügig bearbeitete Fassung eines Referats, gehalten am 20. November 2024 anläßlich des Erinnerung- und Gedenktages „Ermordung der Familienmitglieder Schlein 1944“ an der Berufsbildenden Schule (BbS) „Dr. Otto Schlein“ in Magdeburg)

Ist die Ärztin, der Arzt im Judentum etwas Besonderes?
 

Im Judentum ist Krankheit eine Prüfung Gottes, folglich ist Gott der Arzt, in dessen Macht die Heilung liegt. In späterer Zeit haben Menschen – seinem Willen folgend, vor allem Rabbiner, die oft zugleich Ärzte waren –, Grundsätze über Hygiene, die Ernährung, aber auch den Geschlechtsverkehr entwickelt. Die Ärzte handelten also in den jüdischen Gemeinden, die Formen der Selbstorganisation sind, ganz und gar in göttlichem Auftrag, sind Erfüllungsgehilfen göttlichen Willens und besitzen einen besonderen Status von Gottesnähe, der auch darin zum Ausdruck kommt, dass ihr Beruf als einziger auf jüdischen Grabsteinen genannt wird.

Gibt es Grundsätze im Judentum, die das Handeln bestimmen?
 

Das Tikkun Olam – hebräisch: Reparatur der Welt – und die Zedaka – hebräisch: Gerechtigkeit, Wohltätigkeit – sind die beiden Gebote, die das Leben jüdischer Menschen nachhaltig bestimmen.

Tikkun Olam beruht auf der Überzeugung, dass die Menschheit und die Welt auseinanderfelen, als Adam im Paradies gegen Gott sündigte, und dass es in der Verantwortung der Menschen liegt, sich für die Wiederherstellung und Verbesserung der Welt einzusetzen. Zedaka ist keine freiwillige Handlung und bleibt nicht dem Ermessen des Einzelnen überlassen. Sie ist eine universelle Pficht des Menschen ganz unabhängig von seinem sozialen Status.

Wie drückt sich das in der Praxis aus? Das Judentum ist stark auf das Diesseits gerichtet. Leben zu erhalten und das Gelingen eines würdigen, gesunden und gerechten Lebens sind grundlegend. Für die Krankenpflege bildeten sich in den jüdischen Gemeinden früh besondere Organisationen, die Chewras, heilige Gesellschaften, denen diese Aufgabe zukam, die unentgeltlich Nachtwachen abhielten, Kranken und Sterbenden Beistand leisteten – und die auch Ärzte anstellten. Im Mittelalter entstanden erste jüdische Krankenhäuser, so in Köln, die gleichzeitig Fremdenherberge und Armenhaus waren. Es gab die Säuglingsfürsorge, Milchküchen, Kindergärten und Erziehungsanstalten für arme Kinder wie in Hannover-Ahlem. In 19 israelitischen Krankenanstalten in Deutschland, so auch in Hannover, wurden auch christliche Patienten aufgenommen. Die Anstellung eines Arztes und die medizinische Betreuung der Armen gehörte zu den religiösen Pfichten der jüdischen Gemeinde. Schon im Talmud heisst es: „Es ist verboten, in einer Stadt zu leben, in der kein Arzt ist" – und damit ist der Arzt in der jüdischen Gemeinde gemeint.
 
Wie verhält es sich mit Judenärzten und universitärer Bildung?
 

Aufgabe der jüdischen Arzte war in erster Linie die Behandlung von Juden, da diese die Vorschriften über rituelle Reinheit beachten mußten. Judenärzte genossen auch bei Christen Vertrauen und zählten schon im Mittelalter Kaiser und Päpste zu ihren Patienten.

1678 erfolgte die erste Zulassung jüdischer Studenten an einer deutschen Universität, 1721 wurde einem Juden an einer deutschen Universität die Promotion gestattet. Für Juden wurde von den medizinischen Fakultäten ein spezieller Doktoreid eingeführt, andere Grade konnten Juden zunächst wegen der christlichen Eidesformeln nicht erwerben.

Wer seinen Sohn – und es waren natürlich erst einmal die Söhne – an die Universität senden wollte, mußte ihn zunächst Latein lernen lassen und dann – solange die deutschen Universitäten Juden verschlossen blieben - die erheblichen Kosten für ein Auslandsstudium, z.B. in Italien (in Neapel, Bologna, Pisa, Padua, Pavia und Perugia) aufbringen.

Jüdische Gemeinden schlossen mit promovierten Arzten befristete Verträge, die ein jährliches Pauschalhonorar erhielten und verpfichtet waren, einheimische und durchreisende Arme unentgeltlich zu behandeln. Ende des 18. Jahrhunderts schenkten immer mehr christliche Patienten jüdischen Ärzten ihr Vertrauen, besonders in Großstädten nahm die Zahl jüdischer Arztpraxen zu. Der Arztberuf wurde zu einer Möglichkeit, gesellschaftliche Integration durch akademische Bildung und berufichen Erfolg zu erreichen.
 
Die Entwicklung von Spezialgebieten bot weitere Karrieremöglichkeiten: Aus der Zweiteilung in Innere Medizin und Chirurgie entwickeln sich Dermatologie, Gynäkologie, Orthopäde, Pädiatrie und weitere Teildisziplinen. Der Anteil jüdischer Ärzte in diesen neuen Fachbereichen war besonders hoch. Im Sog neuer Erkenntnisse entstehen neue Forschungsstellen, moderne Behandlungsmethoden und Facharztpraxen. Auf diesen Berufsfeldern sind Konkurrenz und Besitzstandswahrung weniger ausgeprägt als in den herkömmlichen Fachbereichen.
 
Jüdinnen in der Medizin
 

Die Voraussetzung für ein Medizinstudium war damals wie heute das Abitur. Und dieser Zugang zu Gymnasien war Frauen zunächst verwehrt. Erst im Jahr 1893 wurden erstmals in Deutschland Gymnasialkurse für Frauen angeboten.

In Preußen wurden Frauen ab 1896 als Gasthörerinnen zugelassen. Bereits 1895 studierten 40 Frauen in Berlin und 31 in Göttingen. Insgesamt erwies sich das Gasthörerinnen-Zugangsrecht der Frauen als wesentliche Verbesserung der Rechtsstellung, denn seither konnten Frauen in Preußen auch promovieren.

1896 lässt die Universität Halle erstmals Frauen als Gasthörerinnen zum Medizinstudium zu. Im Jahr 1901 studieren dort bereits 12 Frauen. Ein Bundesratsbeschluss war 1899 die Grundlage dafür, dass Frauen Zugang zu allen deutschen Universitäten bekamen. Am 3. März 1905 wurde Martha Kannegießer als erste Frau von der Heidelberger Medizinischen Fakultät „summa cum laude“ promoviert. 1908 wurde den Frauen das Studium in Preußen allgemein erlaubt. Im Jahre 1913 waren etwa 8 % aller Studierenden weiblichen Geschlechts. Bis 1930 stieg dieser Anteil auf etwa 16 %.

Magdeburgs Ärztinnen jüdischer Herkunft
 
  • Dr. med. Gertrud Nachmann (1883-1936), Studium in Berlin, 1915 Promotion in Berlin
  • Dr. med. Erika Rosenthal-Deussen (1894-1959), Studium in Kiel und Erlangen, 1921 Promotion in Erlangen
  • Dr. med. Gertrud Sophie Goldschmidt (1897-1985), Studium in Berlin, Tübingen und Freiburg, 1923 Promotion in Berlin
  • Dr. med. Ilse Jarosch (1897-1959), Studium in Leipzig und Göttingen, 1923 Promotion in Leipzig
  • Dr. med. Fanni Waldstein (1895-1940), Studium in Berlin, 1924 Promotion in Berlin
  • Dr. med. Anne Wilmersdoerffer (1906-1998), Studium in Würzburg, 1930 Promotion in Würzburg
  • Dr. med. Rosa Freudmann (1896-1971), Studium in Wien, 1932 Promotion in Berlin 

Welche jüdischen Ärztinnen und Ärzte gab es in Magdeburg?

Hier sind die Namen: Aufrecht (2) Boehm Bregmann Bron Doctor Frankenstein Freudmann Friede (2) Friedeberg Fürst Goldberg Goldschmidt (2) Goldstein Greiffenberg Grosz Hirsch Jarosch Kahn Karger Klestadt Landau Lehfeldt (2) Lennhoff Lewin Liffgens Lippstädt Loewe Löwenthal Mendel Moosbach Moser Nachmann Neuberg (2) Nussbaum Philippson Pincus Rosenheim Rosenthal (4) Rosenthal-Deussen Saenger Schattmann Schlein Seelenfreund Seligsohn Silberstein Simon Sonnenfeld Steiner Steinhardt Stensch Uffenheimer Waldeck Waldstein Wiesenthal (3) Wilmersdoerffer Winter Wolff

Zurück zu den Anfängen ...

Als erster Arzt jüdischen Glaubens in Magdeburg mag der am 26. Juli 1807 in Dessau geborene Phoebus Moses Philippson (1807-1870) gelten. Er war der Sohn des jüdischen Lehrers, Schriftstellers und Verlegers Moses Philippson und Bruder von Dr. phil. Ludwig Philippson, Prediger und Lehrer der Magdeburger Gemeinde und 1839 zum Rabbiner ernannt. Phoebus Moses Philippson erhielt von der jüdischen Gemeinde Dessaus ein Stipendium für ein Medizinstudium in Halle. Nach der Promotion arbeitete er ab 1829 als Praktischer Arzt in Magdeburg, ab Anfang der 1860er Jahre Arzt in Klötze.

Größere Popularität erlangen zwei andere Ärzte:

Der Oberstabsarzt Dr. med. Hermann (Heinemann) Rosenthal, 1825 in Ermsleben geboren, leistet 1850 und 1855 im Verlauf größerer Cholera-Epidemien in Magdeburg Dienst in der Cholerastation des Militärlazaretts. Er wird 1869 Mitbegründer des Vereins für öffentliche Gesundheitspfege und erreicht ein sachgerechtes Eingreifen bei der Choleraepidemie 1873. Von 1881 bis 1904 Mitglied der Stadtverordnetenversammlung, setzt sich für die „baulichen Umwälzungen Magdeburgs“, besonders die Beseitigung übermässig hoher Hintergebäude „in kleinen, engen Höfen, in denen die Luft stagnire und das Sonnenlicht nicht eindringe“ ein, wie für die Gewinnung bakterienfreien Wassers für die Bewohner der Stadt und die Etablierung von – den hygienischen Ansprüchen genügenden – Volksbädern.

Hermann Rosenthal: Leistungen und Bestrebungen des Vereins für öffentliche Gesundheitspflege in Magdeburg

Sanitätsrat Prof. Dr. med. Emanuel Aufrecht, 1844 in Loslau in Schlesien geboren, von 1879 bis 1905 Leitender Arzt der Medizinischen Klinik des Altstädter Krankenhauses, seit 1893 auch Ärztlicher Direktor des Krankenhauses und Stadtverordneter. Er fördert die Heilstättenbewegung, die Gründung der Heilstätten in Lostau und Vogelsang ist seiner Initiative zu verdanken. A. nimmt maßgeblichen Einfuss auf die bauliche Ausgestaltung des Magdeburger Altstädter Krankenhauses und auf die Planung des Krankenhauses in Magdeburg-Sudenburg. Er bemüht sich um die Anhebung des Niveaus der Krankenpfege, ist Autor von Lehrbüchern und Dozent, u.a. am Rotkreuz-Mutterhaus Kahlenbergstiftung und 1903 als Gründer des Vereins Magdeburger Schwestern.
 
Die Zwanziger Jahre als Zeit des Aufbruchs
 

Die Zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts waren für Magdeburg eine Zeit des Aufbruchs. Die Stadt, geprägt von Militär (Hauptquartier des IV. Armee-Korps) und Industrie entwickelt sich schnell zu einer der größten Städte Deutschlands mit 300.000 Einwohnern. Schon 1886 hatte man Neustadt-Magdeburg eingemeindet. 1887 folgte die Eingemeindung Buckaus mit seinen Maschinenbau- und Armaturenfabriken.

Das dort ansässige Grusonwerk der Krupp AG fertigte Panzer, die Polte-Werke in Sudenburg, waren der größte Fabrikant von Munition in Deutschland, das Messgeräte- und Armaturenwerk Schäffer & Budenberg, die Armaturenfabrik von C. Louis Strube und die Maschinenfabrik R. Wolf AG, die Anker, Zahnkupplungen, Zahnräder und Radsätze fertigte, begründeten die Tradition Magdeburgs als Stadt des Maschinenbaus.

Schon zu Anfang des 20. Jahrhunderts erfolgt ein Zustrom weniger begüterter Menschen aus Polen, aber auch aus Teilen Schlesiens (Versailler Vertrag), die sich überwiegend im Knattergebirge niederlassen. Die wirtschaftliche Entwicklung Magdeburgs wird wesentlich von jüdischen Geschäftsleuten und Unternehmern mitgeprägt. Anfang der 1930er Jahre gibt es in Magdeburg mehr als 400 Geschäfte und Gewerbebetriebe in judischen Besitz, die vor allem im Zentrum der Stadt angesiedelt sind.

Magdeburg wird unter Oberbürgermeister Hermann Beims (1919-1931) und Ernst Reuter (1931-1933) zum Zentrum des Neuen Bauens. Von 1921 bis 1924 ist Bruno Taut Baustadtrat und es entstehen moderne Wohnviertel in den Vorstädten wie die Beimssiedlung im Stadtteil Stadtfeld West und die Gartenstadt Reform. In der Stadt herrscht Wohnungsnot und so entwickeln sich auf der Basis von Tauts Generalsiedlungsplan unzählige Kommunal- und Siedlungsbauten wie die Hermann-Beims-Siedlung.

Auf dem Gebiet der Wohlfahrtspfege verdient die Berufung von Dr. med. Paul Ignatz Konitzer (1894-1947) besondere Aufmerksamkeit. 1926 zum Leitenden Fürsorgearzt in Magdeburg berufen und 1928 Stadtrat, Stadtmedizinalrat und Dezernent fur Wohlfahrtspfege ist seine Dienstzeit vom Bemühen geprägt, soziale Grundsätze im Gesundheitswesen durchzusetzen. Dazu zählte er besonders

  • die Anstellung von Schul- und Fürsorgeärzten sowie Schulzahnärzten, die Verbesserung des Gesundheitszustands der Jugend und
  • die Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit und der Tuberkulose.

Konitzer setzt sich für die grundlegende Modernisierung der Magdeburger Krankenhäuser ein, initiiert den Bau eines chirurgischen Pavillons und der Hautklinik in Magdeburg-Sudenburg. Seiner Initiative ist die Organisierung der Gesundheitsdeputation zu verdanken, eine aus Magistratsmitgliedern, Stadtverordneten und kompetenten Bürgern bestehende Form der Selbstorganisation, die zu allen Fragen der Gesundheitspfege und Prophylaxe Stellung nahm.

Konitzer erreicht die Einführung von kostenlosen Beratungsstellen unter spezialärztlicher Leitung in den Krankenhäusern, u.a. Sprachstörungs-, Schwerhörigen-, Alkoholiker- Sexual- und Eheberatungsstellen. 1929 legt er Pläne zur Demokratisierung des Gesundheitswesens vor und ist Berater des Deutschen Städtetages. In seiner Dienstzeit werden Schlusselpositionen des Gesundheitswesens mit Arztinnen und Arzten judischer Herkunft besetzt, die sich auf ihren Fachgebieten besondere Verdienste erworben haben.

1933 wird Konitzer entlassen, inhaftiert und und der jüdischen Abstammung verdächtigt.

Proportionen
 

Der „Reichsmedizinalkalender“ weist für 1933 370 in Magdeburg tätige Ärztinnen und Ärzte aus, davon sind 55 jüdischer Herkunft (14,86 %). Das entspricht in etwa dem Landesdurchschnitt. Das Durchschnittsalter der Ärztinnen und Ärzte jüdischer Herkunft lag zu dieser Zeit bei etwas mehr als 45 Jahren (45,78). Sie standen also im besten Berufsalter und konnten auf eine erfolgreiche Fortsetzung ihrer Tätigkeit hoffen. Allein elf besetzen Schlusselpositionen im Öffentlichen Gesundheitswesen. Weiter besonders auffällig: der hohe Anteil von Fachärzten fur Dermatologie. Von den 23 Dermatologen in der Stadt waren 8 Juden (Doctor, Lennhoff, Liffgens, Neuberg, Schattmann, Schlein, Steinhardt, Waldeck), das sind 34,8 %. Auch ihr Anteil an den Kinderärzten war disproportional hoch (Hirsch, Moosbach, Rosenthal, Uffenheimer).

Volksstimme 15. Januar 1928, S. 9

Stigmatisierung und Verfolgung
 

Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 hatte Auswirkungen insbesondere auf die judischen Arztinnen und Arzte, die in kommunalen, staatlichen und universitären Einrichtungen des Gesundheitswesens beschäftigt waren. Es bestimmte, dass Beamte „nichtarischer“ Abstammung und Beamte, die „nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten“, aus dem Dienst entfernt werden konnten.

Ausnahmen galten auf Drängen von Reichspräsident Hindenburg zunächst für jüdische Beamte, die bereits vor 1914 Beamte gewesen waren, während des Ersten Weltkrieges an der Front gekämpft hatten bzw. deren Väter oder Söhne während des Krieges gefallen waren. Jüdische Mediziner wurden jedoch nicht nur auf der Grundlage des „Arierparagrafen“ (§ 3), sondern auch mit der Begründung der politischen Unzuverlässigkeit (§ 4) oder der „Vereinfachung der Verwaltung“ bzw. „im Interesse des Dienstes“ (§ 6) entlassen. Die letztgenannten Gründe dienten auch als Vorwand, jüdische Ärzte aus dem Dienst zu entfernen, denen aufgrund ihres Status als „Frontkämpfer“ oder ihrer langjährigen Dienstzeit eigentlich nicht hätte gekündigt werden können.

Wen trafen diese Maßnahmen in den kommunalen, staatlichen und universitären Einrichtungen des Gesundheitswesens in Magdeburg?
 
  • Dr. med. Ludwig Elieser Bregmann, Stadtarzt, Leiter der Eheberatungsstelle, Vorstand der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Ärzte (kündigte 1933)
  • Dr. med. Hans Friede (Facharzt für Neurologie und Psychiatrie), Volontärarzt an der Städtischen Nervenklinik des Krankenhauses Magdeburg-Sudenburg
  • Prof. Dr. med. Max Walther Fürst (Facharzt für Frauenheilkunde, Röntgenologie und Strahlenheilkunde), Direktor der Röntgenabteilung der Städtischen Krankenhäuser
  • Dr. med. (Karl) Heinz Goldschmidt, Stadtarzt u. Stadt-Medizinalrat, Leiter der Abteilung II, Bezirks-Gesundheitsdienst, Hygienische Jugendfürsorge, Erholungsfürsorge, Orts- und Wohlfahrtshygiene (stellte Juli 1933 Antrag auf pensionslose Entlassung)
  • Prof. Dr. med. Walter Dagobert Klestadt (Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde), Direktor der HNO-Klinik in Magdeburg, Dozent an der Akademie für ärztliche Fortbildung und soziale Medizin, Entdecker der „Klestadt-Zysten“ (fehlbildungsbedingte schleimgefüllte Zysten im harten Gaumen)
  • Dr. Salomon Walter Landau (Facharzt für Innere Medizin und Lungenkrankheiten), Leitender Arzt der städtischen Tuberkulosefürsorgestelle, Leitender Oberarzt des Städtischen Erholungsheimes Zwischenwerk 4 (stellte August 1933 Antrag auf sofortige pensionslose Entlassung)
  • Prof. Dr. med. Carl Lennhoff (Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten), Direktor der Städtischen Hautklinik
  • Dr. med. Heinz Moosbach (Praktischer Arzt und Facharzt für Kinderheilkunde), Stadtarzt, Fürsorgearzt in der Tuberkulosefürsorgestelle, zuständig für gesundheitliche Bezirks- und Wohnungsfürsorge
  • Prof. Dr. med. Werner Rosenthal (Praktischer Arzt und Facharzt für Bakteriologie und Pathologie), Privatdozent in Göttingen, Entdecker der „Rosenthal-Fasern“ (wurmförmige Einschlüsse, Merkmal einer genetisch bedingten Störung, bei der eine fortschreitende Degeneration der Weißen Substanz von Gehirn und Rückenmark auftritt)
  • Dr. med. Erika Rosenthal-Deussen, Leiterin der Gewerbeaufsicht im Bez. IV Magdeburg
  • Prof. Dr. med. Albert Maurus Uffenheimer (Facharzt für Kinderheilkunde), Direktor der Kinderklinik des städtischen Krankenhauses Magdeburg-Altstadt, dem die Kultivierung des „Bacillus aerophilus agilis“ - eine spezifsche Bakterienart – gelang

Die Ärztinnen und Ärzte hatten allesamt einen wesentlichen Beitrag zur Existenz eines vorbildlichen Gesundheitssystem geleistet – und wurden um die Früchte ihrer Arbeit gebracht.

Doch das war nur der Anfang ...

Mit der Verordnung des Reichsarbeitsministeriums vom 22. April 1933 wurde die „Tätigkeit von Kassenärzten nicht arischer Abstammung sowie von Kassenärzten, die sich im kommunistischen Sinne betätigt haben“, für beendet erklärt. Durch die „Vierte Verordnung zum Reichsburgergesetz“ vom 25. Juli 1938 wird das Erlöschen der Approbationen aller jüdischen Arzte zum 30. September 1938 angeordnet. Von den 1938 noch praktizierenden mehr als 3.000 jüdischen Ärzten in Deutschland durften fortan nur 709 mit widerruficher Genehmigung als „Krankenbehandler“ weiterarbeiten. Der Reichsmedizinalkalender von 1937 verzeichnet für Magdeburg 371 Ärztinnen und Ärzte insgesamt, davon 30 jüdischer Herkunft (8,08 %). Die Gesamtzahl ist also sogar angestiegen, der Anteil jüdischer Ärzte wurde halbiert.

Aberkennung der Staatsbürgerschaft von Dr. Hans Friede

Unendliche Opfer
 

Der Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten Dr. Otto Joseph Schlein, seine Ehefrau Anni und die Tochter Vera-Judith werden jüdische Opfer der Nazidiktatur und fnden den gewaltsamen Tod wie der Praktische Arzt und Sanitätsrat Dr. David Lippstädt und seine Schwester Betty, der Praktische Arzt und Sanitätsrat Dr. Rudolf Raphael Loewenthal und seine Frau Laura Wilhelmine, der Praktische Arzt Dr. Georg Moser und seine Frau Elvira Susetta und der Wundarzt und Geburtshelfer Dr. Julius Winter und seine Frau Martha.

Zu weiteren Opfern zählen der Praktische Arzt und Geburtshelfer Dr. Erich Böhm und seine Schwestern Elly und Margarethe – Böhm selbst kann nach Schanghai entfiehen und kommt dort um, seine Schwestern in Treblinka –, der Hautarzt Dr. Waldemar Jakob Steinhardt, der wie sein Sohn nach der Flucht aus Deutschland in der Sowjetunion verschollen ist und der Facharzt für Innere Medizin Dr. Hans Aufrecht, dessen Frau Ilse von der SS erschossen und der selbst nach seiner Befreiung 1945 von Sowjetsoldaten getötet wird.

Für all diese Menschen wurden in Magdeburg Stolpersteine verlegt.

Zwölf der 55 Ärztinnen und Ärzte, die 1933 in Magdeburg ihren Beruf ausüben, versterben in der Zeit von 1933 bis 1945, mindestens zwei davon unter Umständen, die gleichfalls als Folge der nationalsozialistischen Herrschaft anzusehen sind:
 

Dr. Julius Kahn stirbt am 1. April 1939. Als Todesursache wird „Krebsgeschwulst im Auge“ angegeben. Tatsächlich dürfte der Tod „infolge schwerer Mißhandlung im KZ Buchenwald“ eingetreten sein, wie die VdN-Dienststelle Magdeburg am 11. Januar 1946 zu Protokoll gibt.

Dr. med. Julius Kahn VdN

Dr. Gertrud Nachmann wechselt im Februar 1929 als Assistenzärztin an das Hygienisch- Bakteriologische Institut des städtischen Krankenhauses Magdeburg-Sudenburg, wo sie bis zum 1. Januar 1930 tätig ist. Der Aufgabe ihrer dortigen Tätigkeit gehen Differenzen voraus. So beklagt sich N. sich gegenüber männlichen Kollegen zurückgesetzt zu fühlen. Demgegenüber wird ihr bescheinigt, sich nicht bewährt zu haben und die Kündigung empfohlen – die sie auch einreicht. Deren Rücknahme – nachdem sie keine anderweitige Anstellung findet – stimmt die Stadt nicht zu. Ab 1930 ist sie in Schmiedeberg im Riesengebirge tätig, kehrt aber 1931 nach Magdeburg zurück, wo sie in der Großen Diesdorfer Str. 24 als Kassenärztin tätig wird. Am 28. Dezember 1936 zeigt der Bote David Zelichower an, dass sie ihrer Wohnung tot aufgefunden worden sei.

Insgesamt 34 Ärztinnen und Ärzten jüdischer Herkunft gelingt die Emigration. Die meisten gelangen in die USA (17), nach Palästina (6) und nach England (4), drei kehren nach 1945 nach Deutschland zurück.
 

Flucht und Neuanfang

Als Beispiel mag hier Dr. Leopold Liffgens gelten: Als sogenannter „Frontkämpfer“ kann er bis zum Entzug der Approbation am 30. September 1938 praktizieren, am 10. November 1938 gerät er in „Schutzhaft“ und wird aus dem KZ Buchenwald (Gefangenennummer II/47) nach eigenen Angaben nur unter der Bedingung entlassen, dass er mit seiner Familie innerhalb von 14 Tagen Deutschland verlässt. In aller Eile regelt die Familie ihre Angelegenheiten, das Wohnungsinventar muss verschleudert werden, die Judenvermögenabgabe von insgesamt 110.250 RM, sowie die Reichsfluchtsteuer von 88.791 RM sind zu entrichten, für die Mitnahme von Umzugsgut werden beim Spediteur weitere 2.144 RM fällig. Am 7. März 1939 verlässt die Familie die Stadt und gelangt über Hamburg und Bremerhaven schließlich mit der SS „Hansa“ nach New York. Liffgens gelingt es vor der Abreise 220.000 RM in die USA zu transferieren – wo er nach der Ankunft den Gegenwert von 10.111,47 RM in US-Dollar erhält. Liffgens versucht – der Sprache und Gesetze unkundig – in den USA einen Neuanfang und wird am 15. Januar 1945 amerikanischer Staatsbürger. Erst am 28. Juni 1945 kann er das State Board Exam absolvieren und als angestellter Arzt tätig werden, im Februar 1956 geht er, nun 67 Jahre alt, in den Ruhestand. Er stirbt am 10. Oktober 1972 in New York.

Rückkehr

1992 besucht Stephen Moorbath, eigentlich Stefan Moosbach, 2016 verstorben, der Sohn von Dr. Heinz Moosbach, seinen Geburtsort Magdeburg:

“Ich hatte in Magdeburg das außergewöhnlichste Abenteuer. Ich kam in Magdeburg an, war dreiundsechzig Jahre lang nicht dort gewesen [1939 hatte er mit dem Vater Deutschland verlassen können, Anm. R.D.] und verließ den Bahnhof - ich hatte ein Hotel am Bahnhof gebucht - und schaute hinaus und da war die Straßenbahn Linie 1 an ihrer Endstation vor dem Bahnhof und ich sah darauf Neustadt, einen großen Vorort von Magdeburg, und ich erinnere mich, dass die Straßenbahn Linie 1 1939 vom Bahnhof nach Neustadt fuhr. Also stieg ich in diese Straßenbahn und wusste, dass sie an unserem Wohnort vorbeifahren würde, also sagte ich zum Nicolaiplatz, bezahlte das Fahrgeld und stieg ein und erinnerte mich an jede einzelne Haltestelle, es sind ungefähr drei Meilen, schätze ich, und ich stieg aus und ich war einfach erstaunt, als ich die Straße überquerte und sah, dass unser altes Haus [Nikolaiplatz 7, Anm. R.D.] immer noch stand, komplett, in der gleichen Farbe, alles.

Also stand ich da und schaute es mir an, und plötzlich kam eine Frau aus der Haustür und sagte: „Wir warten auf dich“, und ich dachte, das ist verdammt surrealistisch: „Wir warten auf dich, komm doch rein.“ „Wir sind alle hier“, und sie – sie dachte, ich sei der Redner, der vor einem Publikum sprechen sollte, das sich im Haus versammelt hatte, weil das Haus jetzt, sechzig Jahre später, ein Zentrum für Erwachsenenbildung war und ich schaute mich um, um zu sehen, ob ich bei dem richtigen Haus war. Ich sagte: „Nun, ich bin nicht ihr Sprecher, aber ich habe hier vor sechzig oder mehr Jahren gelebt.“ „Oh“, sagte sie, „kommen Sie herein, kommen Sie herein und und trinken Sie oben eine Tasse Tee“. Also ging ich nach oben, wo es Tische und Erfrischungen gab und die Leute, die auf den Dozenten warteten, nebenan waren, und der Raum, in dem ich mich befand, war unser altes Wohnzimmer und Musikzimmer, ein großes Haus, und der Boden hatte noch den Parkettboden und in der Ecke stand ein alter, hundert, zweihundert Jahre alter Kachelofen, der nach dreiundsechzig Jahren immer noch da war, der Raum war mir absolut vertraut, außer dass nun Tische und Erfrischungen da waren. Also kam die Frau und sagte: „Oh, nimm ein paar Erfrischungen“ und wir kamen ins Gespräch und schließlich kamen die Leute nach der Vorlesung aus dem Raum und aßen und ich wurde in alle möglichen Gespräche durch die Frau hineingezogen, die sagte „Oh, er hat früher hier gelebt“ und so ... Es war ein sehr seltsamer, surrealistischer Abend, an dem ich gefragt wurde, wer ich bin, warum ich dort lebe und alles mögliche, eine völlig andere Welt, aber dasselbe Haus. So freundete ich mich mit einigen dieser Menschen an, allesamt natürlich Deutsche, sehr berührend, eigentlich bewegend.“

Schlussbemerkung

Mehr als eine Generation von Ärztinnen und Ärzten jüdischer Herkunft hat ihre berufliche Schaffenskraft mit Herzblut in die Entwicklung des Magdeburger Gesundheitswesens investiert und ein Paradigmenwechsel ist zu beobachten: die Energie, die Generationen jüdischer Menschen in Vorzeiten in die Entwicklung der eigenen Gemeinden gelegt haben, haben sie aufgebracht, um einem Land zur Blüte zu verhelfen, das sie als das ihre betrachteten – nicht selten unter Hintanstellung ihrer religiösen Vorsätze. Sie sind um die Früchte ihrer Arbeit gebracht worden, mussten schweres Leid ertragen und dieses Land – und damit auch die Stadt Magdeburg – hat einen unwiderbringlichen Verlust erlitten.

Mehr muss nicht gesagt werden!

Literatur (Auswahl)

  • Abrahams-Sprod, Michael E.: „Und dann warst du auf einmal ausgestoßen!" Die Magdeburger Juden während der NS-Herrschaft. Halle (Saale): Mitteldt. Verl., 2011
  • Czerwinski, Filomena: Die Entwicklung des Gesundheits- und Sozialwesens der Stadt Magdeburg 1870-1918. Magdeburg, Med. Akad., Inst. für Sozialhygiene, Diss., 1964
  • Försterling, Susanne: Die rassistische anti-jüdische Politik des NS-Regimes und ihre Auswirkungen auf die jüdischen Ärzte in der Stadt Magdeburg, dargestellt am Beispiel der Ärzte Dr. Otto Schlein, Dr. Gyula Grosz und Dr. Carl Lennhoff. Wissenschaftliche Hausarbeit zur Ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien. Magdeburg, 1993
  • Gagelmann, Karola: Die Rolle von Magistrat und Stadtverordnetenversammlung bei der Gesundheits- und Wohnungspolitik in Magdeburg zwischen 1890 und 1914. Magdeburg, Päd. Hochschule “Erich Weinert“, Diss., 1991
  • Greif, Gideon, Colin McPherson & Laurence Weinbaum (Hrsg.): Die Jeckes. Deutsche Juden aus Israel erzählen. Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2000
  • Hanauer, Wilhelm: Die jüdische Wohlfahrtspflege in Deutschland. In: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft. Jg. 69. 1913, S. 716-736
  • Jarosch, Erika: Die jüdische Ärzteschaft vom Mittelalter bis zur vollständigen Vernichtung 1945. 2000
  • Martini, Tania: Wider alle Widerstände. In: taz, 20. Juli 2024, S. 41
  • Raute, Michael: Jude - venia entzogen 1934. Leipzig: Leipziger Universitätsverl., 2014
  • Richarz, Monika: Der Eintritt der Juden in die akademischen Berufe. Tübingen: Mohr, 1974
  • Scherbel, Simon: Jüdische Ärzte und ihr Einfluß auf das Judentum. Berlin, Leipzig: Singer, 1905
  • Rupieper, Hermann-J. & Alexander Sperk: Die Lageberichte der Geheimen Staatspolizei zur Provinz Sachsen 1933-1936. Bd. 1: Regierungsbezirk Magdeburg. Halle: Mitteldeutscher Verl., 2003
  • Spanier, Moritz: Geschichte der Juden in Magdeburg. Magdeburg: Sperling, 1923