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Datum:
16. 4. 1973
Ereignis:
Marianne v. Eckardt an Friedel Jaffé: "... Mama hat ja bestimmt, dass ich vorerst alle ihre Papiere hier aufbewahre. Darunter ist ein Karton mit Aufschrift 'Familienbriefe'. Das stimmt aber nur insoweit, als es sich um Jugendbriefe von Johanna, Frieda und Schulgenossinnen handelt. Der Rest ist eine sehr gezielte Auswahl aus Briefen von Otto und Frieda Gross, Marianne Weber etc., alles etwa aus den Jahren 1898 bis 1909. Im Mittelpunkt steht offensichtlich die ganze tragische Affäre um Otto Gross herum. Nun hat sich Mama in der letzten Zeit die Biographie von Frieda ein zweites Mal vorlesen lassen und ist plötzlich, aber wirklich ganz bewusst und mehrfach wiederholt, zu dem Gedanken gekommen, dass man diese Briefe jenem Martin Green schicken solle, der sich wie eine Seeschlange seit Jahren durch Mamas und meine Korrespondenz zieht. Ich war immer sehr ablehnend, aber er hat sich offenbar in den Kopf gesetzt, eine ausführliche Darstellung all dieser Dinge zu Stande zu bringen. Kürzlich hat er mir mitgeteilt, dass er nun auch Camilla Ullmann ausfindig gemacht habe, ausserdem eine uralte Dame in München, die ihn mit allen Sorten von Nachrichten aus jener Zeit versorgt hat. Ich hatte ja Mama, deren Gedanken schon seit dem Umzug im Dezember um diese schwarze Schachtel kreisen, vorgeschlagen, das ganze zu verbrennen, aber sie war entschieden dagegen. Es findet sich auch eine kurze Art von Selbstbiographie über diese turbulenten Jahre, die darauf hindeutet, dass Mama doch schon längere Zeit den Wunsch hatte, dass diese Dinge irgendwie und irgendwem zur Kenntnis kämen. Nun ist es ja mit Mama so, dass ihre Wünsche auftauchen und wieder untergehen. Ich glaube, es war vor allem das Frieda-Buch, das sie sich eben wieder vorlesen lässt, dass sie veranlasst zu wünschen, dass ihre Briefe und Erlebnisse veröffentlicht würden. Die Frage ist nun die: Irgendetwas wird Green auf alle Fälle über die uralten Geschichten Otto-Else veröffentlichen. Material scheint er auch aus einem Archiv zu beziehen, wo Friedas nachgelassene Papiere liegen. Ich bin mir meiner Lebensdauer nicht allzu sicher und möchte diesen Nachlass vom Halse haben. Wozu autorisierst Du mich? Green kann man nicht darin aufhalten zu schreiben. Soll man Mamas Wunsch übergehen? Ich denke eigentlich, dass sie vor allem wollte, dass ich im Bilde wäre. Das bin ich schon lange und soweit es uns selbst betraf, geht es ja eigentlich niemanden etwas an. Natürlich könnte man Mama mit Recht als eine sehr mutige Kämpferin, nicht sowohl der Frauenbewegung, sondern von Women’s Lib bezeichnen und irgendwie möchte sie das. Aber ob es nötig ist, weiss ich nicht. Ich habe Green sehr ausführlich geschrieben, dass ich Deine Zustimmung einholen und meinen Entschluss gänzlich davon abhängig machen werde. Das wärs. ... Sehr herzlich Deine alte Schwester."
Quellen:

Roth, Edgar Jaffé, Else von Richthofen and Their Children, New York, N.Y., 2012, S. 206-207

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