Stolperstein Lydia Hamlet

2010 wurde der oben abgebildete Stolperstein für Lydia Hamlet in der Magdeburger Denhardtstr. auf dem Gelände der Otto-von-Guericke Universität verlegt - dort wo früher das im 2. Weltkrieg zerstörte Haus Königgrätzer Str. 5 stand. Seit 1935 lebte der Bankkaufmann Sally Hamlet mit seiner Frau Lydia darin, 1940 wurden beide daraus vertrieben. Sally Hamlet starb kurz darauf, Lydia Hamlet wurde 1942 in das Ghetto Warschau deportiert und später in Treblinka ermordet. Eigentümer und Mitbewohner des Hauses war Salomon Hornig, an den mit der 35. Stolpersteinverlegung in Magdeburg am Mittwoch, 26. September 2022, erinnert werden soll. An der Verlegung, zu der die städtische Arbeitsgruppe „Stolpersteine für Magdeburg“ beim Kulturbüro der Landeshauptstadt alle Interessierten einlädt, werden auch Angehörige der Opfer, derer gedacht wird, teilnehmen. Gunter Demnig, der Initiator der Stolperstein-Initiative, wird die Verlegungen vornehmen.

Weitere Informationen: arrow Einladungsflyer (pdf-Datei, 541 KB)

Der Verlegeplan am 26. September in Magdeburg

09.00 Uhr Bernhardine, Edith, Pia und Hermann (Hersch) Hart, Mittelstr. 48
09.30 Uhr David Apter, Sieverstorstr. 40
09.50 Uhr Nathan Kalter, Wittenberger Str. 28
10.10 Uhr Hermine Katzenstein, Ernst-Lehmann-Str. 19 (früher Pionierstr. 4)
10.30 Uhr Salomon Hornig, Denhardtstr./Uni-Gelände (früher Königgrätzer St. 5)
10.50 Uhr Friederike Winterfeld, Breiter Weg 109 (gegenüber der Stadtbibliothek, früher Breiter Weg 100)
11.10 Uhr Rosa Ruchel Hochberg, Peterstr. 2 (früher Tischlerkrugstr. 9)
11.30 Uhr Beila Berta, Izak Leib, Moses Max und Ruth Hagen, gegenüber Faßlochsberg 7 (früher Faßlochsberg 15)
12.00 Uhr Sara Leja und Saja Leib Kahan, Faßlochsberg 31 (früher Kameelstr. 21)
12.30 Uhr Ida Heilbrun und Emma Rothenstein, Geißlerstr. 3 (früher Roonstr. 3)
13.15 Uhr Cilly, Ettla Netti und Heinz Hirschhorn, Karl-Schmidt-Str. 62 (früher Feldstr. 62)
13.35 Uhr Rosa Goldmann, Adelheidring 21
13.55 Uhr Helene Amalie, Ingrid und Paul Greve, Freiliggrathstr. 1

Salomon (Shulim) Hornig wächst bei seinen Eltern, Cheve (Hendel), geb. Rottenberg, und Abraham (Leiser) Hornig, in Sieniawa in Galizien auf. Sieniawa im Karpatenvorland war zur Zeit seiner Geburt am 11. März 1869 zur K.u.k.-Monarchie gehörig und ein Zentrum des ostmitteleuropäischen Judentums, insbesondere des Chassidismus. Zu Beginn des 1. Weltkriegs waren mehr als 60 % der Bevölkerung jüdisch.

Bereits in Sieniewa hat Salomon Hornig 1895 die am 15. August 1867 im Ort geborene Jenny (Chaje) Kropf geheiratet. Schon 1897 finden wir das Ehepaar in Magdeburg, in der Mühlenstr. 1a begründen sie eine Eiergroßhandlung, die 1901 mit dem Kompagnon Kop(p)el Weinberg auch in der Gr. Mühlenstr. 11/12 weitergeführt wird.

Briefkopf Salomon Hornig

Neben dem Geschäftsbetrieb wächst eine Familie heran: am 6. März 1898 wird der Sohn Heinrich in Magdeburg geboren, 1901 die Tochter Frieda (die zum Leidwesen aller bereits nach 9 Tagen am 14. Juni verstirbt), am 24. Februar 1903 der Sohn Victor.

Die Firma entwickelt sich derweil zur auf dem Sektor führenden in der Provinz Sachsen, importiert im großen Stil aus Dänemark, Holland, Polen und Ungarn, 1916 wird Hornig Mitinhaber der Lebensmittelverteilungsstelle der Provinz und die Firma von Bedeutung in der staatlichen Nahrungsmittelbewirtschaftung im 1. Weltkrieg.

In den frühen Zwanziger Jahren kann die Familie als ausgesprochen wohlhabend gelten, die Hornigs erwerben 1923 das Haus Königgrätzer Str. 5 (wo sie auch Wohnung nehmen), werden Miteigentümer einer Immobilie Breiter Weg 99.

Magdeburg, Königgrätzer Str. 5

Einen weiteren schmerzlichen Einschnitt erfährt das Familienleben allerdings nach dem Tod der Tochter 1924, als der Sohn Heinrich, inzwischen candidatus medicinae, am 12. Februar verstirbt.

1929 verlegen Hornigs ihren Betrieb in die Viktoriastr. 4 – und werden von einem weiteren Schicksalsschlag heimgesucht: am 19. Juni stirbt Jenny Hornig in der Krankenanstalt Sudenburg im Alter von 61 Jahren.

Der heraufziehende Nationalsozialismus hält weitere Drangsal für Salomon Hornig bereit: 1934 erfolgt die erzwungene Schließung des Geschäfts, das der Geschäftsführer Siegmund übernimmt. Bald ist Salomon Hornig zudem gezwungen, das Grundstück in der Königgrätzer Str. 5 zu veräußern, anstatt des Marktwerts von 180.000 RM erhält er lediglich 135.000 RM und muß außerdem 8.000 RM „Reichszuwachssteuer“ entrichten.

Eine der wenigen Freuden wird ihm in dieser Zeit der Sohn Viktor gewesen sein, der sein Studium an der Technischen Hochschule Charlottenburg als Diplom-Ingenieur abschließen kann. 1935 hat er sich zunächst mit der am 15. Juni 1913 in Wuppertal geborenen Ellen Holstein verlobt und geheiratet. Leben die beiden zunächst in Solingen, so entschließen sie sich bald, Deutschland zu verlassen: am 27. August 1937 ist es soweit, sie verlassen das Land und gehen nach England, wo sie sich in Birmingham niederlassen. Salomon Hornig will ihnen baldmöglichst folgen, schafft mit einem Lift der Fa. Rudolph und Sohn 2.460 kg Güter nach Rotterdam und zahlt dafür am 29. August 1939 allein 11.000 RM für Neuanschaffungen an die Berliner Golddiskontobank. Hornig beteiligt sich – sicher in der Hoffnung, damit habe sein Auswanderungsansinnen stärkeres Gewicht und er könne bald seinen im August 1940 geborenen Enkel Andrew in Augenschein nehmen – mit einem Betrag von 100.000 RM an einem so genannten Transfer-Kredit der Rheinmetall-Borsig AG. (Seinerzeit wird sein Gesamtvermögen auf 336.370 RM taxiert.)

An die Schwiegertochter schreibt er am 6. November 1940:

„Von mir kann ich Dir weiter nur gutes berichten, gesundheitlich sowie wirtschaftlich, da ich vorläufig nicht auswandern kann, werde ich auch wohl die Fluchtsteuer zurückbekommen, auch sagte mir der Bankier, daß mein Transfer evt. prolongiert werden würde über den 6. Juni, wollen hoffen. Die holländische Bank schrieb mir ich könnte mir schon für 1939 ca. 400 Holländische Gulden abholen, aber ich muß erst ausgewandert sein. Leider läßt Italien auch nicht rein, wollen abwarten und hoffen."

Ganz gegenteilige Entwicklungen beeinträchtigen tatsächlich Salomon Hornigs Leben: seit dem 19. September 1941 hat er den „Judenstern“ zu tragen. Hornig – inzwischen aus der Königgrätzer Str. 5 in die Gr. Mühlenstr. 11/12, die zu einem der so genannten Judenhäuser Magdeburgs geworden ist, eingewiesen - unterzeichnet am 2. November 1942 den von der Reichsvereinigung der Juden ausgefertigten „Heimeinkaufsvertag“ H V/524 und kauft sich mit 95.698,35 RM in die Unterbringung in Theresienstadt ein, tritt die Grundschuld auf die Immobilie Breiter Weg 99 in Höhe von 40.000 RM ab. Am 25. November 1942 erfolgt mit dem Transport XX/2-74 die Deportation in das als „Altersghetto“ verklärte KZ Theresienstadt, wo Salomon Hornig knapp neun Monate später, am 21. August 1943 zu Tode kommt.

Heimeinkaufsvertrag Salomon Hornig

David Apter, für den ein Stolperstein in der Sieverstorstr. 40 verlegt wird, stammt aus Tarnopol in galizischen Podolien, einem historischen Gebiet, damals zur K.u.k. Monarchie gehörend, heute in der südwestlichen Ukraine und im nordöstlichen Teil der Republik Moldau gelegen, landwirtschaftlich geprägt, flach bis hügelig und von canyonartigen Flusstälern durchzogen. Die jüdische Besiedlung begann unmittelbar nach der Gründung der Stadt 1540. Das Privileg, das seinerzeit der polnische König den Juden 1550 verlieh, beinhaltete die Erlaubnis, in allen Teilen der Stadt mit Ausnahme des Marktplatzes zu wohnen. 1869 – David Apter wurde am 26. Mai 1874 dort geboren - lebten in Tarnopol 11.000 Juden und machten 52 % der Gesamtbevölkerung aus. Mit der Aufösung der Habsburgermonarchie wurde in Tarnopol eine ukrainische Regierung gebildet. Der Ort als Ganzes – so die gängige Meinung – zeichnete sich durch Toleranz zwischen Juden, Polen und Ukrainern aus. Es gab sogar einige Straßen, die nach berühmten Juden benannt worden waren. Das änderte sich zwei Wochen nach Ausbruch des 1. Weltkrieges, als die russische Armee Tarnopol besetzte. Viele Juden fohen aus der Stadt, um nicht zur Zwangsarbeit herangezogen zu werden.

Auch David Apter verlässt die Stadt und seine Familie, zu der neben den Eltern, dem Metallarbeiter Samuel Marcus Apter und der Mutter Lea die Schwestern Sarah (*1869), Mamcze (*1871) und die Brüder Chaim (*1876-1912) und Moses, später Mathias (*1882) gehören. David Apter zieht es nach Deutschland, er wird Vertreter für Weingroßhandlungen, so u.a. für die Weingroßhandlung Gellert & Glaser in Dresden und geht bald darauf die Ehe mit der am 15. Januar 1870 in Wien geborenen Johanna Plamm ein. Die Ehe scheitert bald, schon 1912 lernt er die am 9. April 1892 in Magdeburg geborene Schneiderin Elisabeth Auguste Emma Graun kennen und lässt sich in Magdeburg nieder. 1916 wird er zum Militär eingezogen, aus dem Krieg kehrt er im Oktober 1918 mit einer Kriegsverletzung (er ist auf einem Auge erblindet) zurück, inzwischen hat Elisabeth Graun den am 23. März 1917 geborenen Sohn Hans-Georg zur Welt gebracht. 1919 zieht das Paar in die Sieverstorstr. 40. Auch der Bruder Moses, der sich nun Mathias nennt, zieht in das Haus in Magdeburgs Alter Neustadt und widmet sich dort seinen Geschäften. Ein weiteres Kind, die Tochter Ruth, wird am 25. September 1921 geboren, ein weiterer Sohn stirbt im Mai 1930 nach der Geburt.

Die gemeinsamen Bemühungen um eine Heirat scheitern am Widerstand von Johanna Apter, die am 3. Dezember 1932 in Wien verstirbt, immerhin wird die Scheidung nachträglich zum 20. März 1901 rechtskräftig. 1935 tritt Elisabeth Graun aus der evangelischen Kirche aus, aber die Zeiten sind längst nicht mehr geeignet, eine Ehe einzugehen, das „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre („Blutschutzgesetz“), das am 15. September 1935 erlassen wurde, verbietet Eheschließungen zwischen „Deutschblütigen“ und Juden, stellte außereheliche Beziehungen zwischen ihnen als „Rassenschande“ unter Strafe.

David Apter

David Apter erhält noch am 14. Februar 1936 vom Polizeipräsidenten der Stadt Magdeburg eine Legitimationskarte für Kaufeute, Handlungsreisende und Handlungsagenten, die ihm erlaubt, Bestellungen auf Weine und Spirituosen entgegen zu nehmen und er ist für die Weingroßkellerei Schröder & Co. in Cottbus tätig. Doch seit 1937 darf er nicht mehr reisen und wird arbeitslos, Elisabeth Graun ist gezwungen, Haushaltsgegenstände zu veräußern und nimmt eine Arbeit in einer Sack- und Planenfabrik an.

David Apter wird am 28. Oktober 1938 eines der Opfer der so genannten „Polenaktion“, bei der 15-17.000 Juden polnischer Staatsangehörigkeit aus Deutschland ausgewiesen und an die polnische Grenze transportiert werden. In Bentschen/Zbąszyń kommt er zunächst in einer Mühle unter, bevor er am 27. Juli 1939 die Erlaubnis zur Rückkehr nach Magdeburg erhält, um seine Geschäfte zu regeln. An der Rückreise wird er allerdings gehindert, am 9. September 1939 verhaftet und in die Heilanstalt Jerichow, Krs. Genthin eingeliefert. Dort stirbt er am 29. Februar 1940.

Elisabeth Apter und die Tochter Ruth geben 1965 zu Protokoll:

„... ist es mir nach großen Schwierigkeiten gelungen, den Leichnam meines Mannes David Apter freizubekommen, um ihn auf dem jüdischen Friedhof in Magdeburg beizusetzen. Dem damaligen Friedhofsverwalter Herrn Behrendsohn war es streng verboten, den Sarg zu öffnen. Herr Behrendsohn machte mich und meine Tochter extra darauf aufmerksam. Da wir jedoch meinen Mann bzw. meinen Vater noch einmal sehen wollten, versprachen wir Herrn Behrendsohn unter größter Verschwiegenheit, den Sarg zu öffnen. Mein Mann lag nur in einem weißen Leinentuch eingeschlagen im Sarg, so daß wir die Möglichkeit hatten, ihn genau anzusehen. Wir stellten fest, daß er eine klaffende Wunde an der linken Schläfe hatte und beide Knien blutverkrustet waren. Nach unserer Schätzung hatte mein Mann noch ein Gewicht von ca. 70 Pfund so abgemagert war er, denn bei seiner Verhaftung hatte er noch ein Gewicht von ca. 140 Pfund."

David Apter wird auf dem Israelitischen Friedhof bestattet. Elisabeth Graun kann noch bis 1943 ihrer Arbeit nachgehen. Nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft erhält sie als „Verfolgte des Naziregimes“ (VdN) ab 1. Dezember 1950 eine Rente. Sie folgt ihren Kindern am 7. Oktober 1959 in den Westen Deutschlands, wo ihr am 16. April 1962 die Anerkennung der gesetzlichen Ehe mit David Apter mit Wirkung vom 22. November 1935 gewährt wird. Sie stirbt am 13. September 1969 in Düsseldorf-Benrath. Der Bruder Moses (Mathias) Apter, der zuletzt mit seiner Frau Meta in Berlin lebt, wird am 13. September 1939 in das KZ Sachsenhausen deportiert, wo er am 27. November 1939 ermordet wird.

Die Gedenkblätter zu den verlegten Stolpersteinen werden im Rathaus im Magdeburger Gedenkbuch ausliegen und können dort eingesehen werden. Digital sind sie dann - wie der digitale Stadtplan mit den Verlegeorten der Stolpersteine - auf der Internetseite der Landeshauptstadt Magdeburg zu finden sein: arrowwww.magdeburg.de/