Eine äußerst eindrucksvolle Ausstellung präsentiert derzeit das Museum August Kestner in Hannover. Sie trägt den Titel "Spuren der NS-Verfolgung", startete am 6. Dezember und wird noch bis zum 16. Juni 2019 zu sehen sein.

Anlass der Ausstellung ist der zwanzigste Jahrestag der so genannten "Washingtoner Erklärung" vom 3. Dezember 1998, die auch von der Bundesrepublik Deutschland mitgetragen wird und die zum Inhalt hat, während der NS-Herrschaft beschlagnahmte Kulturgüter zu identifizieren, deren Eigentümer bzw. Erben ausfindig zu machen und mit ihnen eine "gerechte und faire Lösung zu finden". Auf diesen Hintergrund macht einiges Filmmaterial aufmerksam, das den Besuchern der Ausstellung zugänglich gemacht wird. In einer Filmsequenz ist der US-Beauftragte Stuart E. Eisenstat zu sehen, der zu Recht auf die bedeutende Rolle der "Monuments Men" (inzwischen auch durch den gleichnamigen Film bekannt, der auch im Rahmen des Ausstellungsprogramm gezeigt werden wird) bei der Sicherung von Raubgut aufmerksam macht, als auch auf die lange Phase der relativen Untätigkeit auf diesem Feld hinweist.

Wenn man so will, ist die Ausstellung die Präsentation eines Zwischenergebnisses der Recherchen nach geraubten Kulturgütern im Besitz der Stadt Hannover, die im Rahmen eines Begleitprogramms, zu dem Vorträge, Führungen, Podiumsgespräch, Lesungen und Filmvorführungen gehören, vertieft werden soll.

Hannah VogtAuf den ersten Blick leidet die Ausstellung ein wenig unter den Umbaumaßnahmen im Inneren des Hauses, beim zweiten Hinsehen erschließt sich dem Besucher, dass die vergitterten Gerüste bewusst eingesetzt werden, um die beklemmende Lebenssituation der seinerzeit Verfolgten zu simulieren.

Das Frappierende an der Ausstellung dürfte vor allem in der Dokumentation des Nebeneinanders von legaler und illegaler Ausplünderung der Mitbürger jüdischen Glaubens und von Anpassung und Widerstand zu sehen sein. Die Vertreibung aus dem Beruf, die Bereichung des Regimes durch die so genannte "Judenvermögensabgabe" von mehr als einer Milliarde Reichsmark, die Einführung der Reichsfluchtsteuer wie die staatliche Zwangsarisierung werden in der Ausstellung thematisiert und an einer Reihe von Beispielen verdeutlicht, aber auch die auf dem Boden systematischer Entrechtung sich vollziehende Bereicherung durch Teile der Bevölkerung der Stadt.

Zwei Schicksale stehen zu Recht im Zentrum der Ausstellung:

Klara Berliner

Da ist zum einen das der Klara Berliner, Eigentümerin der "Villa Simon" in Hannovers Brühlstraße (arrow zukunft-heisst-erinnern.de/), Tochter des Gründers der Deutschen Grammophon, Joseph Berliner. Sie nahm zahlreiche jüdische Familien in ihr Haus auf, die aus ihren Wohnungen vertrieben worden waren. Infolge des am 30. April 1939 erlassenen "Gesetzes über Mietverhältnisse mit Juden" wurden nach dem 1. Juni 1939 vom Wohnungsamt der Stadt eine Reihe weiterer jüdischer Familien und Einzelpersonen in das Haus zwangseingewiesen. Schließlich wurde sie gezwungen, Haus und Grundstück an die Stadt Hannover zu verkaufen, die Bewohner mussten ausziehen. Klara Berliner wurde im März 1943 von Hannover in das Ghetto Theresienstadt deportiert und dort ermordet. Aus ihrem Besitz ist in der Ausstellung ein wertvoller Rokokoschrank zu besichtigen, den sich die Stadt Hannover aneignete.

Dr. med. Albert David
Vom Großburgwedeler Arzt Dr. med. Albert David befinden sich Teile seiner Münzsammlung in der Ausstellung, die sich im Bestand des Museums August Kestner fanden. Bei einer Heimsuchung durch die Gestapo am 19. Mai 1940 hatte sich der jüdische Mediziner vergiftet. Bereits bei der Eröffnung des Testaments galt die Münzsammlung als nicht auffindbar.

Zu den Exponaten der Ausstellung gehören etliche Bücher, die sich in den Beständen von Stadtbibliothek und Stadtarchiv fanden, darunter ein Exemplar von Friedrich Engels' Schrift "Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates", das im Zuge ihrer Verhaftung 1933 bei der Studentin Hannah Vogt beschlagnahmt wurde. In der Nazizeit zunächst Aktivistin des Internationalen Sozialisten Kampfbundes um Leonhard Nelson, später Mitglied der KPD, gehörte Vogt zu den ersten weiblichen "Schutzhäftlingen" im Konzentrationslager Moringen (arrowwww.gedenkstaette-moringen.de/).

Es gehört zu den Vorzügen der Ausstellung, dass die biographiebezogenen Exponate jeweils mit den Arbeitsansätzen für eine Restitution verbunden werden. So heisst es bei dem Buch aus dem Besitz von Hannah Vogt: "Zwei Familienangehörige konnten ausfindig gemacht werden. Eine Rückgabe des Buches ist vorgesehen." Im Falle von Klara Berliner wird darauf verwiesen, dass die Provenienzforschung der Landeshauptstadt Hannover derzeit Erben sucht, bei Dr. David wird gefragt, wer wohl einen Rechtanspruch auf die Goldmünzen hat? So werden die Museumsbesucher animiert, sich in den Prozess der Aufklärung und Restitution nach Kräften einzubringen, was durchaus empfehlenswert ist.

Weitere Informationen: arrow Programm (pdf-Datei, 790 KB)

 

NS-Raubgut in der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek

Die Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek hat in der Zeit vom November 2008 bis zum Oktober 2010 nach NS-Raubgut in ihren Beständen geforscht. Als Ergebnis dieser Recherche ist seit einiger Zeit in einem Sonderregal im Lesesaal eine mit "Verdacht auf NS-RAUBGUT" bezeichnete Sammlung zu besichtigen und unter arrow http://opac.tib.eu/DB=3.1/LNG=DU/ auch im OPAC der Bibliothek ausgewiesen.

 NS-Raubgut in der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek

Dazu gehören

  • Bücher, die über das Finanzamt eintrafen (denen nach Verabschiedung der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz ab Oktober 1941 die "Verwertung" des Eigentums sämtlicher emigrierter und deportierter Juden oblag),
  • Bücher, die über die Preußische Staatsbibliothek in Berlin verteilt wurden (die durch Erlass des Preußischen Finanzministers vom 28. März 1934 zur "Zentralstelle" für beschlagnahmtes, so genanntes schädliches und unerwünschtes Schrifttum fungierte und diese Literatur an die Universitätsbibliotheken abgab) und
  • Bücher aus Straßburg (Elsass) und Metz (Lothringen), insgesamt 135 Titel, bei denen nicht abschließend geklärt werden konnte, auf welchem Weg sie in die hannoversche Bibliothek gelangten.

Aktuell umfasst die Sondersammlung 374 Titel.

Weitere Informationen: arrow NS-Raubgut in der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek (pdf-Datei, 2,1 MB)