"1901 habe ich auf der Hamburger Dampferlinie 'Kosmos' als Schiffsarzt gedient." (Otto Gross, Curriculum vitae, Graz Weihnacht 1904) Was läßt sich über die "Kosmos" und den Einsatz von Otto Gross auf den Schiffen der Linie ermitteln?

1872: Gründung der Deutsche Dampfschiffahrts-Gesellschaft Kosmos. Dampfer der Fa. laufen zunächst von Le Havre, später auch von Antwerpen aus Montevideo und Buenos Aires an, weiter durch die Magellanstraße nach Valparaiso, Arica, Islay, Callao. Ab 1875 wird Punta Arenas angelaufen, ab 1876 weitere Häfen, bis 1878 nicht weniger als 21. 1887 hatte die Kosmos sieben Schiffe, 1882 neun, 1885 dreizehn, ab Anfang der achtziger Jahre 14-tägige Abfahrten. Seit 1880 wird Port Stanley auf den Falklandinseln angelaufen, von 1882 bis 1884 wird ein kleinerer Dampfer dort stationiert, ab 1882 gleichfalls Versuchsfahrten bis Guatemala. Seit 1884 regelmäßige Expeditionen dorthin, in den neunziger Jahren monatlich bzw. dreiwöchentlich. Infolge wachsender Konkurrenz 1889 Fusion mit der Kirsten-Linie, 1899 hat die Kosmos 25 Dampfer. "1899 stationierte der Kosmos in Punta Arenas einen kleineren Dampfer, der die Wollproduktion Patagoniens und Feuerlands an den einzelnen Küstenplätzen einsammelte und einer nach Punta Arenas gelegenen Hulk [auch "Holk", R. D.]zuführte." 1900 ging die Kosmos eine Betriebsgemeinschaft mit der Hapag ein.

In Arnold Kludas' Werk "Die Schiffe der Hamburg-Süd 1871-1951" (Stalling 1976), findet sich auf S. 58 eine Abbildung der "D Columbus" mit dem Vermerk: "1900 14. Jan.: Als Kosmos an die D. D. G. 'Kosmos', Hamburg. In Valparaiso stationiert."

Weitere Ermittlungen:

"Sämtliche Unterlagen der Kosmos gingen nach der Fusion mit der Hapag in deren Besitz über, doch sind die Schiffsakten von der Zeit vor dem 1. Weltkrieg offenbar vernichtet worden. Wegen der großen Anzahl der Mitarbeiter, die im Laufe der Jahrzehnte bei der Hapag-Lloyd AG und ihren Vorläufern angestellt waren, konnten die Personalakten immer nur für einige Jahre nach deren Ausscheiden aufbewahrt werden, schon aus Platzgründen." (Mitteilung von Otto Seiler v. 19. 04. 1996)

"Das Firmenarchiv der Hamburg Süd, das den Krieg überlebt hatte, fiel der Flutkatstrophe in Hamburg 1962 zum Opfer. Dabei wurden sämtliche Personalakten der Vorkriegszeit ab Gründung des Unternehmens vernichtet." (Mitteilung von Otto Seiler v. 16. 10. 1998)

"... leider muss ich Ihnen mitteilen, dass im Archiv des Deutschen Schiffahrtsmuseums keine Unterlagen vorhanden sind, die Auskunft zu den Reisen von Otto Gross geben. Die hier aufbewahrten Aufzeichnung beziehen sich nur auf Dampfer, die in Bremerhaven Besatzung aufgenommen haben." (Klaus-Peter Kiedel, Leiter des Archivs, Deutsches Schiffahrtsmuseum, Schreiben v. 25. 10. 2002)

"... kann ich Ihnen mitteilen, daß Heuerlisten aus der Zeit um 1900 hier nicht vorliegen. Das Staatsarchiv verwahrt Schiffsarztakten der auf ,Auswandererschiffen' gefahrenen Schifssärzte in Auswahl (Bestand 373-7 I AuswanderungsamtI V 2). Eine Akte betr. Otto Grosss ist nicht vorhanden. Möglicherweise finden sich Hinweise auf Fahrenszeiten von Otto Gross in der Seemannskartei der Seeberufsgenossenschaft." (Dr. Peter Gabrielson, Staatsarchiv Hamburg, Mail v. 13. 02. 2002)

... bezug nehmend auf Ihr Schreiben vom 20. 02. 02 müssen wir Ihnen leider mitteilen, daß wir unter den von Ihnen angegebenen Daten keine Unterlagen finden konnten." (Herr Bergel, See-Berufsgenossenschaft, Hamburg, Schreiben v. 04. 03. 2002)

Auf meine Frage: "Ließe sich denn feststellen, welche Schiffe 1901 in Diensten der DDG Kosmos fuhren und liegen Fotos von diesen Schiffen bei Ihnen vor?" übermittelte mir das Deutsche Schiffahrtsmuseum, Bremerhaven mit Schreiben vom 9. August 2004 eine Übersicht über "Die Hauptdaten der Kosmos-Passagierdampfer 1895-1901" (auf denen Otto Gross als Schiffsarzt 1901 Dienst getan haben könnte). Es sind die Schiffe "Ammon", "Amasis", "Theben", "Sakkarah", "Itauri", "Mera", "Assuan" und "Radames". Alle diese Schiffe, von denen beim Museum auch Fotografien vorliegen, waren im Dienst Hamburg-Chile eingesetzt.

Die drei letztgenannten Schiffe wurden erst 1901 in Dienst gestellt ("Mera" am 20. Februar, "Assuan" am 25. März und "Radames" am 20. August 1901). Alle Schiffe beförderten in der I. Klasse 26 Passagiere, in der II. 14 (Ausnahme: "Radames" 20), in der III. Klasse 30 (Ausnahmen: "Mera" und "Assuan" 70, Radames 74). "Ammon" und "Amasis" hatten 49 Mann Besatzung, "Sakkarah" und "Theben" 51, "Itauri", "Mera" und "Assuan" 52 Mann und "Radames" 55.

Marie-Laure de Cazotte konnte 2018 ermitteln, dass Otto Gross als Schiffsarzt zur Besatzung der "Amasis" gehörte (vgl. Cazotte, Marie-Laure de: Mon nom est Otto Gross. Paris: Michel 2018, S. 12 u. 25) die 1901 zu zwei Reisen nach Südamerika aufbrach: Am 12. Februar lief sie von Hamburg nach Valparaiso aus und kehrte am 25. Juni von dort zurück (vgl. Berliner Börsen-Zeitung, Abend-Ausgabe, 13. Februar 1901, S. 13 und 26. Juni, S. 18). Die nächste Tour begann am 29. Juli, am 29. November kehrte das Schiff, diesmal von Arica in Chile kommend, nach Hamburg zurück (Berliner Börsen- Zeitung, Abend-Ausgabe, 30. 11. 1901, S. 9). Da Gross bereits am 21. Oktober wieder Patienten in der Grazer Psychiatrischen Klinik behandelte, kann er nur die erste Fahrt absolviert haben. Für den Hinweis auf die Ausführungen bei Marie-Laure de Cazotte und die entsprechenden Fundstellen im Werk habe ich Dr. Gottfried M. Heuer zu danken.