Der Schrei (Edvard Munch)"Jetzt sitzt das Weib neben mir - verflucht. Otto Gross analysiert sich selbst" - unter dem Titel "Kokain und Mutterrecht. Die Wiederentdeckung des Otto Groß (1877-1920)" gibt Josef DVORAK 1978 im Kapitel "Immer im Rausch. Ungedruckte und verschollene Texte" (Neues Forum. 1978, H. 295/296, S. 52-68, hier 64) seines Aufsatzes einen Teil bis dato unveröffentlichter Notizen von Otto Gross wieder, allerdings ohne die Auslassungen in Gänze und den Inhalt der wiedergegebenen Texte näher zu kommentieren. Er leitet die fragmentarische Dokumentation lediglich mit allgemeinen Ausführungen zur Rolle der Selbstanalyse bei der ersten Analytikergeneration ein und referiert Urteile von Wilhelm Stekel und Franz Jung über Gross. Immerhin weist er auf den Fundort der Texte - das Franz-Jung-Archiv, Berlin, DDR - hin, das lange Jahre von Cläre Jung betreut wurde.

Am 20. September 1986 schrieb mir Peter LUDEWIG (Berlin): "im nachlass von franz jung existierte eine selbstanalyse von otto gross. eine bekannte hat damals diese analyse transkribiert." Die "Bekannte" Ludewigs war Christina (Tina) BUHMANN, mit der ich 1987 zusammentraf. Für ihre Diplomarbeit (BUHMANN, Christina: Über Otto Gross. Berlin, Freie Universität, Psychologisches Inst., Vordiplomarbeit 1980) hatte sie den Nachlaß Franz Jungs gesichtet, das Original ihrer Transkription machte sie mir später zugänglich.

Rolf MADER liefert 1991 zwar die kompletten Texte von Gross im Anhang zu seiner Magisterarbeit ("Selbstanalyse", in: MADER, Rolf: Die Rezeption der Psychoanalyse von Otto Gross durch Franz Jung. Magisterarbeit im Fach Neuere deutsche Literatur an der Ludwig-Maximilians-Universität München. München, Januar 1991, Anhang, S. 113-121), gleichwohl verzichtet auch er darauf, deren Entstehungsgeschichte und Inhalt zu kommentieren.

1999 werden die Texte schließlich (wieder kommentarlos) in der Sammlung "Von geschlechtlicher Not zur sozialen Katastrophe" (Hamburg: Ed. Nautilus, S. 176-180) unter dem Titel "Selbstanalyse von Otto Gross" publiziert.

Gottfried HEUER verweist in seinem Aufsatz "Auf verwehten Spuren verschollener Texte. Verlorene, wiedergefundene und neu entdeckte Schriften von Otto Gross. Zum gegenwärtigen Stand der Forschung" (in: DEHMLOW, Raimund u. Gottfried HEUER (Hrsg.): 1. Internationaler Otto Gross Kongress. Bauhaus-Archiv, Berlin 1999. Marburg a.d. Lahn/Hannover 2000, S. 168) auf die bei Dvorak und Mader veröffentlichten Texte als "einige 'Selbstanalyse' genannte Notizen" hin.

Im Juni 2001 erhielt ich durch Vermittlung von Gottfried Heuer Kopien der Originale dieser "Analyse". Die eigentlichen "Originalzettel" sind, wie Fritz und Sieglinde MIERAU (Berlin) mitteilten, nicht mehr vorhanden. Die Kopien zeigten allerdings, daß die als "Traum" bzw. "Assoc. z. Traum" überschriebenen Textteile nicht von der Hand von Otto Gross sind - wohl aber von ihm stammen, was sich aus der für ihn typischen Schreibweise ergibt. Offenbar waren die Originale in der Zwischenzeit von bislang unbekannter Hand handschriftlich transkribiert und diese Transkription anstelle der Originale dem Konvolut hinzugefügt worden. Bei den ursprünglich im Franz-Jung-Archiv befindlichen Unterlagen von Gross befand sich außerdem ein Brief von Otto Gross (dessen Inhalt im Anhang wiedergegeben ist, er wird auch von Ed. Nautilus, Gottfried Heuer und Rolf Mader gebracht), der gleichfalls entnommen wurde und kürzlich durch ein Antiquariat zur Versteigerung gelangte. Es ist anzunehmen, daß auch die Original-Aufzeichnungen von Gross demnächst auf diesem Wege wieder auftauchen.

Die Schreibweise und Aufteilung der unten wiedergegebenen Texte entspricht den Originalen, sofern dies nicht besonders gekennzeichnet ist.

Auf dem Schiff

Dass ich so unsicher bin über / mein Unbewußtes und so un- / lautere Möglichkeiten im Unbewuss- / ten sind - das kommt wie Alles, / Alles böse

aus der Schwäche - / aus der tiefen, umfassenden / feigheit, die ein Leben beherrschen / mussdem jede Aussicht auf rei-nen Sieg versagt ist jede Zu- / versicht jede Expansivität, jede / Sicherheit andern gegenüber - / jedes Selbstvertrauen - - / jedes Selbstvertrauen im andern / Sinn als in der Perspective von / Bücher schreiben.

I

bestenfalls analytisch helfen und analytisch brechen --- / das ist die einzige Zuversicht in der Verteidigung - und / das macht tückisch - - - - -

Zu dieser Waffe gehört das / Gegengewicht - gehört die / Sicherheit auch im offenen Kampf / sonst wird in einem die Art / der Schlange.

Alles, alles wird erst böse, wenn / die Schwäche dazu kommt - - - die Angst und der Neid .... / Ich habe [doppelt unterstrichen] zu beneiden, das habe ich nicht gewußt ........

Ich muss beneiden, wo eine / Zuversicht da ist und ein echter / Glauben an Sieg und eine Liebe

II

Zum Leben - die so / und nur so existiert ....

Man kann und darf an sichkein Wohlgefallen haben -/ wenn man besser sagen würde / was die Pepperl nicht lernen / will.....

Die Bücher sind die richtigeSelbstironie - Ironie auf den / Vater und vor allem auf mich.

Eckehard [doppelt unterstrichen] [1]

Die wissenschaftliche Selbstachtung / ist ein Hohn auf die wirkliche / gerade ich bin doch so aufrichtig / überzeugt davon, das / "Ehre", "Achtung", "Selbstvertrauen" / "Zufriedenheitmit sich selbst / Selbstachtung [doppelt unterstrichen] überhaupt -

III

und allein und immer / nur das Dreinschlagenkönnen / bedeutet......

Nicht dreinschlagenkönnen / heißt mit der Nase in den / Dreck gesteckt werden -/ heißt "Schmutzig sein" - / heißt vor allem das / Entehrtsein -

Nicht dreinschlagen können / heißt nicht neidlos sein können / nicht ehrlich und restlos - ver- / gönnen - vertrauen - lieben - / freund sein können - heißt / eben auch innerlich / nicht rein sein können.

Die Katze im Retz [2] das bedeutet / für mich kein gutes Gewissen / mehr haben können - das heißt / keines mehr erwerben können - - -

IV

Nicht die "Leute" sondern / ich [doppelt unterstrichen] glaube nicht [doppelt unterstrichen] das Irgendet- / was ehrlich und sachlich gemeint / ist von mir.

ich selbst glaube das alles, alles / was ich tue und nicht tue, / masquierte Schwäche ist - / Feigheit ist - "saurere Trauben" / und die Schweinerei die dazu- / gehört.

Die Unbekümmertheit der / Selbstsicheren - wer die nicht / hat, der muss [doppelt unterstrichen] dann immer / und immer sich kontrol- / lierenund alle anderenob sie nicht schon bemerken -

und nicht schon bemerken / das ich doch nichts dagegen / tun könnte - wenn ich auch / wollte - also nicht mehrwollen kann - nicht mehr

V

wollen darf. / Jetzt sitzt das Weib neben / mir - verflucht - wie / paßt es doch so unbegreiflich / schlecht [doppelt unterstrichen] zu mir das wir / nicht Kampf und Sieg / von selbst verstehen

Das ich nicht meine Selbst- / schätzung habe und meinen / automatischen Glauben an / mich - und endlich gutund treu sein könnte - - [3] -.

1.

(Fiume) [4]

Traum:

Ich soll hingerichtet werden - ich / glaube, - geköpft - . Ich frage den Rich- / ter immer von Neuem, und will mir / einreden lassen, dass mit dem Tod / des Geistesleben nicht zu Ende sei. -

Man muß dem Ernst sagen, wie an- / ständig der Richter gewesen sei. -

Genauer = ein so bedeutendes Gei- / stesleben, wie meines ... / Der Richter gibt mir immer wieder / die Versicherung, zuletzt aber ein- / mal so, daß ich merke, daß ich / merke, er glaubt es selber nicht. / Ich denke,

Von Suggestionen hat mein Vater erzählt, / - zweimal! - von Suggestionen bei / Krankheiten - es ist auch ganz in seinem

2

Sinn - ich glaube er würde so / fühlen ... / Eine Geschichte noch, daß er von einem / Hund gebissen war und Angst hatte / wüthend zu werden! (Ist mir jetzt sehr / unheimlich!) [5]

Das ist auch ganz unmöglich, / so etwas zu glauben - es sei mir / aber doch ganz rechtdass er mir' s doch versichert habe. - ./.

Die andere Geschichte war von Zahnweh, / oder Kopfweh - das hatte ich vorgestern / auch

Der ganze Traum - sehr klar, stark / affektiv, wie gelebt, aber irgendwie / ausser Zusammenhang mit der Rea- / lität - ich wollte eben schrei- / ben "sonstigen Realität"! - / Am Morgen innerlich angeregt, / angstvoll, dann Erinnerung an den / Traum - - -

3

Assoc. z. Traum

Staatsanwalt - Der Staatsanwalt / in Czernowitz und sein Duell - [6] / er schien mir als ein Beispiel / für die gewisse Vereinigung der Extre- / me - - / Das Todliegen - Phantasie als / Kind - Liegen im Wald - im Bach / - in der Schlucht / hinrichten - / Köpfen. / Capo Capos' Istria / capitano [7] / - - - - - (?) / Schriftzeichen - als Kind ersinnen / wollen, nicht können Clavier- / spielen der Mutter --- / französisch / roman. Sprache / Phallus paternus! [8]

5

(Fiume)

Traum=

Bock - dass er in die Gegend stosst - / mit der Mutter gesehen - / Corridor - Wunschmotive - - / Exhibition - / und Schwindel und Angst - / Vater Krankheit Erwartung -

Dass es mich jetzt so beschäftigt ob / man sich über mich aufhält? etc - / ist das Besserung oder auch Komplex - / N. 7 ??? / Was ich mir denke was die Leute haben? / Dreckige Photen etc. hab ich - ist es das?

Was heisst das: ich will hingerichtet / werden? heisst das er soll zu mir kom- / men was im Nebenzimmer ist?? / chargé de charge / ferrer ---

7

Geschwister und Enkel / Das Aspirieren von den Händen / - das Todesgefühl / Das war beim Peppelemachen - die / Peppele [9] / Einen Spalt in ein Stück Fleisch zu / hauen - "Fleischhauen" - und mein / Hass als Kind gegen Fleischhauen / Am Schlossberg[10] - und hinein / gegriffen - und daß es "von Men- / schen" war - warum gar so viel Entsetzen?

Die Venus die den Amor bei den Flügeln / hält - / und die Sentimentalität von Alten - / und ob sich ein Sadismus gegen Kinder / nicht gegen ihn richtet?


Anmerkungen

1) Vermutlich der "Getreue Eckart" aus Goethes gleichnamigem Gedicht, der den Kindern ungerufen gegen die bösen Weiber ihrer Alpträume beisteht. Auch Erich MÜHSAM nimmt im Zusammenhang der Schilderung seiner Erlebnisse mit Gross Bezug auf "Eckart": in seiner Tagebucheintragung vom 13. 9. 1912 heißt es: "Die letzten Tage waren von Otto Gross so stark okkupiert, daß ich sehr fürchten mußte, durch die Anstrengung der Unterhaltungen mit ihm werde jede Energie zur Arbeit in mir gelähmt werden. Das habe ich ihm heute gesagt. Darauf schrieb er mir diese Worte ins Notizbuch: »Das ist aus der Psychologie, die ich nicht reden darf: Erich, im Ernst, Du mußt zur Zeit mit irgendetwas beschäftigt und darauf aus sein, was wesentlich nicht gutsein kann. Ich bin dir diesmal - es ist wirklich nicht Selbstüberschätzung, daß ich so spreche, ins Haus gefallen wie der Eckart - und werde zum Teil als solcher behandelt - Was du heute gesagt hast, heißt: Du mußt immer, bevor du deine jetzige Beschäftigung wieder aufnehmen kannst, verdrängen, auf was dich das Zusammensein mit mir gebracht hatDas aber ist dein wirkliches Sein, nur das; nicht von mir, sondern von dir selber wird dir mit mir zusammen die tiefere Wirklichkeit wieder bewußter - und die mußt du verdrängen, bevor etc. etc. und daraus - etc. -« Gross' Unterstellungen haben in der Tat etwas, was stark ergreift und suggeriert. Was mich aber in Wahrheit so anstrengt und ablenkt, ist die fortwährende Einstellung auf die ungewohnte Terminologie eines Monomanen. Ich muß mich fortwährend in Ausdrücken wie Komplex, Masochismus, Sadismus, Analyse, Verdrängung etc. zurechtfinden, und alle in neuen Bedeutungen angewandt. Und ferner ist mir schrecklich der Haß, den Otto gegen einige Leute hat, und den er fortgesetzt betont und in Beziehung setzt zum Tode Sofie Benz'." (zit. nach: MÜHSAM, Erich: Tagebücher. München 1994, S. 94f.)

2) Es läßt sich wegen der Qualität des Textes nicht mit Sicherheit sagen, ob es hier "in Retz" oder "im Netz" heißt resp. heißen soll. Die "Katze im Netz" bedarf keiner besonderen Erläuterung, allerdings ist auch "Katze in Retz" denkbar, da Otto Gross Mutter aus Retz gebürtig ist.

3) Möglicherweise ist mit der Frau Nina KUH gemeint, die Gross dadurch für sich zu gewinnen suchte, daß sie ihm Rauschgift zur Befriedigung seiner Sucht offerierte. Zuvor war Gross mit ihrer Schwester Mizzi zusammen, mit der er auch ein gemeinsames Kind, Sophie, hatte. Es gibt starke Anhaltspunkte dafür, daß Gross versuchte, wieder als Arzt und Wissenschaftler Fuß zu fassen und eine gemeinsame Familie mit Mizzi Kuh und seiner Tochter zu begründen.

4) Gross hielt sich 1910 zusammen mit Sophie Benz in Fiume (dem heutigen Rijeka) aufFiume, Hafenmole (1910)

5) Freud wies darauf hin, daß Hans Gross Besucher vor seinem Sohn mit den Worten "Geben sie acht, er beißt!" warnte (vgl. FREUD/JUNG, Briefwechsel, Frankfurt, 1974, S. 169). Neben dem denkbaren - wenngleich überhöhten - Hinweis auf eher normale Beißgewohnheiten von Kindern ist natürlich auch eine andere Variante denkbar: die überzogene und kompromittierende Warnung des Vaters fußt darauf, daß der Sohn den erzwungenen Oralverkehr durch Bisse in das Glied des Vaters abzuwehren versuchte. Die Erfahrung des Sohnes wird von diesem an einen Hund, der den Vater gebissen hat, assoziiert. Das Wütendwerden des Vaters wäre dann gleichfalls in zweiferlei Hinsicht zu deuten: als Angst vor der Ansteckung mit der Tollwut, aber auch als Ausdruck der Angst vor Entdeckung, resp. als Abwehr der eigenen Neigung, Kindern Gewalt anzutun.

6) Hans Gross wurde am 1. August 1898 mit "Allerhöchster Entschließung" und ohne Habilitation an die Universität Czernowitz berufen und wohnte dort in der Siebenbürgenstr. 26. Im Jahre 1900 arbeitete der Sohn Otto am dortigen Krankenhaus.

Die Bemerkung von Gross über das Duell eines in der Stadt tätigen Staatsanwalts kommentiert Prof. Dr. Andrei CORBEA-HOISIE, Czernowitz, in einer Mitteilung an mich wie folgt: "Das Einzige, was in Verbindung mit Gross' Bemerkung gesetzt werden kann, ist eine Auseinandersetzung des Journalisten Siegmund Welt mit dem Staatsanwalt Michalski im Dezember 1900.

Nach einem Prozess, in dem zwei Angeklagte verurteilt wurden, hatte Welt erklärt, daß er den Staatsanwalt Michalski mit 2000 Gulden bestechen könne, um eine Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil zu erwirken.

Tatsächlich reichte der Staatsanwalt Michalski eine solche Nichtigkeitsbeschwerde (angeblich wegen formaler Unregelmäßigkeiten) ein. Als Welt's Behauptung publik wurde, zog er die Nichtigkeitsbeschwerde zurück und versicherte, dass er nichts mit Siegmund Welt und seinen Behauptungen zu tun habe.

Welt wurde wegen Betruges vor Gericht gestellt und später freigesprochen. Es blieb allerdings unklar, ob seine Behauptung zu Recht bestand. Es kann sein, dass in diesem Zusammenhang der Michalski auch ein Duell wegen Verletzung seiner Ehre provoziert hat. Allerdings waren Duelle für Beamte verboten und in der Presse folglich darüber nichts zu lesen." (Mail vom 5. Februar 2004; vgl. auch: Bukowinaer Rundschau, 8. Dezember 1900, Nr. 3488, Rubrik "Aus dem Gerichtssaal")

7) Koper, Panoramansicht (1910)Die Hafenstadt Koper in Slovenien, wohin Gross 1910 bei seiner Reise mit Sophie Benz vermutlich auch gelangte, führt auch den Namen Capodistria, eine Umschreibung von "Hauptstadt der Halbinsel Istrien". Im Roman Justine von Lawrence DURRELL (Hamburg 1959) wird eine Figur mit Namen Capodistria u.a. wie folgt skizziert: "Von seinen Freunden wird er Da Capo genannt wegen seines sexuellen Elans, der so groß sein soll wie sein Reichtum - oder seine Häßlichkeit." (S. 33)

8) Lat. = Das Glied des Vaters

9) Peppelemachen, Peppele leitet sich nach Auffassung von Stephan GAISBAUER vom Adalbert-Stifter-Institut in Linz vom Lemma "päppel(e)n" ab (vgl. Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich und Südtirol, Bd. II, Wien 1976ff., Sp. 294/295) und bedeutet so viel wie "Essen machen (für Kinder)". Zwar wäre nach Auffassung von Gaisbauer auch ein Zusammenhang mit der Koseform Pepi, Pepperl usw. für Josef oder Josefine denkbar, er erscheint ihm aber in diesem Zusammenhang und auch aus morphologischen Gründen wenig wahrscheinlich (Gaisbauer, Stephan: Telefax vom 16. Januar 2004).

10) Der Schloßberg ist der Hausberg der Stadt Graz, in der Otto Gross einen großen Teil seiner Kindheit verbrachte.


Anhang

Verehrter Herr Doctor, / vor Allem danke ich Ihnen / für das Reisegeld, ich behalte es vor- / läufig in der Erwartung, daß Sie / es mir noch ermöglichen werden die / Reise wirklich anzutreten. Ich / muss Sie aber bitten, mir den Vertrag / vorher einzuschicken, ich brauche / ihn schon deshalb unbedingt, weil / ich nur durch Vorweisen meiner Schrift- / stücke und nur dadurch hier

den Paß verschaffen kann. Und dann: / ich habe keine Möglichkeit mir / anderswoher die Mittel zur Existenz / zu verschaffen als was ich mir / - sobald ich nicht hier bleibe, wo / ich bei meiner Mutter Unterkunft finde - / am Ort meines Aufenthalts verdienen / kann. Ich stünde also, falls die Mündli- / chen Unterhandlungen nicht zu Er- / gebnissen führen sollten, vollkommen / substitenzlos in Berlin. Ich habe / auf Grund Ihrer seinerzeitigen Auffor- / derung, Ihnen einen Verlagsentwurf ein- / zusenden, mich durch das Einschicken / des von mir unterschriebenen Entwurfes / gebunden und anderweitige Unter- / handlungen eingestellt. Ich habe / mich in der ganzen Zeit in der von / Ihnen gewiesenen Richtung gehalten / und bitte das als Entschuldigungsgrund / dafür gelten zu lassen, wenn ich Sie / jetzt durch Wiederholung meines An- / liegens in Anspruch nehme. / Ich bitte Sie, verehrter Herr Doctor, / um Ihre Entscheidung, ob Sie mir den / Vertrag übersenden wollen oder ob ich das / Reisegeld zurückerstatten soll. / In collegialer Verehrung / Ihnen Herr Doctor, tief ergeben, Dr. Otto Groß


Dieser offenbar in Graz verfaßte Brief von Otto Gross ("wo ich bei meiner Mutter Unterkunft finde"), der sich bei seinen sonstigen in Berlin aufgefundenen Unterlagen befand, könnte an Dr. med. Max MARCUSE gerichtet, aber nicht abgesandt worden sein. Marcuse redigierte den Band II der Reihe "Abhandlungen aus dem Gebiete der Sexualforschung" (Bonn 1920), der Gross erschienene Schrift "Drei Aufsätze über den inneren Konflikt" enthielt (und der erst nach Gross' Tod erschien). Es ist bekannt, daß sich Otto Gross bis zum 30. März 1919 in Graz aufhielt und danach mit seiner damaligen Lebensgefährtin Nina Kuh zeitweilig in Berlin in der der Kaiserallee 64-65 (der Wohnung von Cläre und Franz Jung) lebte, ehe er am 13. Februar 1920 starb.